BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
er unter den schwarzen Schwaden zum Ausgang, ließ die letzten um die Flammen tanzenden Irren hinter sich.
Vor der Tür lagen Dutzende Verletzte oder Tote, blutüberströmt, um die sich niemand kümmerte. Manzano kam an zwei leblosen Körpern in Uniform vorbei. Hatten die Häftlinge Polizisten getötet und ihre Waffen an sich gerissen? Im Schutz der Menge gelangte er bis zum Eingang des großen Hofes. Unter dem Torbogen hockten einige Männer und zielten mit Gewehren hinaus, schossen. Sirenen übertönten in wiederkehrenden Wellen das Getöse.
Manzano ließ sich zu Boden sinken, sah sich um. In die andere Richtung gab es keinen Ausweg. Er konnte nur hier im Gedränge warten, bis alles vorbei war.
Die Bewaffneten wagten einen Ausbruch, wild um sich feuernd rannten sie ins Freie, einer wurde getroffen, strauchelte, fiel, ein anderer humpelte, stolperte weiter, bevor auch er liegen blieb. Ihre Waffen wurden von anderen ergriffen, die weitermachten, wo die anderen gestoppt worden waren.
Auf der anderen Seite des Hofes fiel ein Mann vom Gebäude, Manzano konnte nicht erkennen, ob Häftling oder Beamter. Einer der Gefangenen rannte hin, nahm ihm die Waffen ab, drückte sich gegen die Wand, feuerte.
Der Rauch aus dem brennenden Saal kam bereits bis zu Manzano gekrochen, heiß und stinkend kratzte er im Hals, brannte in seinen Augen. Er vergrub sein Gesicht in einer Armbeuge, es half nichts. Er musste weiter. Hinaus auf den Hof, auf dem es keine Verstecke gab, keine Deckung, wo noch immer von allen Seiten die Kugeln querschlugen. Er humpelte los, erwartete jeden Moment den Einschlag eines Geschosses.
Berlin
»Ich möchte endlich klare Informationen aus Philippsburg«, forderte der Bundeskanzler.
Michelsens Liste wies auch heute noch keinen positiven Eintrag auf. Wohin sie auch blickte, überall nur Hiobsbotschaften. Den Tiefpunkt hatten die Nachricht aus Philippsburg und die folgende Diskussion markiert.
»Wir bemühen uns darum«, versicherte ihm die Mitarbeiterin des Ministeriums für Umweltschutz, Naturschutz und Reaktorsicherheit. »Aber die Verbindungen sind noch immer mangelhaft. Auch über das Land und die IAEO erhalten wir nicht laufend aktuelle Neuigkeiten. Der Letztstand von vor einer Stunde besagte, dass geringe Mengen radioaktiven Dampfes entwichen seien. Die Bevölkerung im Umkreis von fünf Kilometern wird bereits seit gestern dazu aufgefordert, die Häuser und Notquartiere nicht zu verlassen.«
»Sind sonst wenigstens alle anderen AKW s versorgt?«, bellte der Kanzler. Als die Frau nicht sofort antwortete, spürte Michelsen, wie ihre Hände zu zittern begannen.
»Was?«, fragte der Kanzler tonlos nach.
»Wie es scheint, hat es im Kraftwerk Brokdorf an der Elbe einen schweren Zwischenfall gegeben. Genaues ist noch nicht bekannt.«
»Genaues ist noch nicht bekannt?« Der Bundeskanzler explodierte förmlich. »Was wissen diese vermaledeiten Betreiber überhaupt? Sie haben keine Ahnung, wer ihnen die Würmer ins Netz gesetzt hat, warum ihre Kraftwerke nicht funktionieren, wann sie die Versorgung wieder in Gang bringen, nichts! Ich will die Vorstandsvorsitzenden der Betreiber von Philippsburg und Brokdorf hier oder auf den Bildschirmen sehen, und zwar schnell!«
»Ich … sorge dafür«, stammelte die Angefahrene.
Der Kanzler schloss kurz die Augen, öffnete sie wieder.
»Verzeihen Sie«, bat er. »Sie können nichts dafür. Ich hoffe, das war alles?«
Die Frau biss sich auf die Lippen.
Abermals schloss der Bundeskanzler die Augen.
»Sagen Sie schon.«
»Das französische Werk Fessenheim am Rhein meldet ebenfalls einen schweren Zwischenfall aufgrund von nicht näher benannten Schwierigkeiten mit den Notkühlsystemen.«
Auf der Europakarte an der Wand zeigte sie auf eine Stelle an der deutschen Grenze, nahe Stuttgart. »Laut IAEO wurde schwach radioaktiver Dampf abgelassen. Für Evakuierungen gäbe es keinen Grund, sagen die Betreiber. Noch. Der Plan sähe eine Zone von bis zu fünfundzwanzig Kilometer voraus. Das beträfe unter normalen Umständen fast eine halbe Million Menschen, darunter Freiburg.«
»Eine halbe Million …«, stöhnte der Bundeskanzler.
»Und Temelín«, ergänzte die Beamtin. »Dort dürfte es, wie in Saint-Laurent, zu einer Kernschmelze gekommen sein. Die tschechischen Behörden haben mit der Evakuierung begonnen. Aber das Kraftwerk liegt rund achtzig Kilometer von der nächsten deutschen Grenze entfernt. Außerdem herrscht zurzeit Nordwestwind. Radioaktivität wird also
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