BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
Hinweis auf sein verletztes Bein, in einem bunten Durcheinander umarmten sich alle. Niemand schien mehr die Müdigkeit zu spüren, sie benahmen sich wie Irre.
Nach vielleicht zehn Minuten endete das Lichterflackern draußen, stattdessen strömten die ersten Menschen aus den Häusern auf die Straße, fanden sich in Gruppen zusammen, unterhielten sich, gestikulierten aufgeregt.
»Großartig«, stammelte Shannon wiederholt, die Kamera beständig auf die Szenen gerichtet. »Ich muss raus«, sagte sie schließlich. »Das brauche ich aus der Nähe!«
Brüssel
Angström stand mit den anderen am Fenster und schaute auf die Stadt. In den Bürotürmen leuchteten vereinzelt Lichter auf, ebenso in den kleineren Wohnhäusern, die nicht evakuiert worden waren oder deren Bewohner sich geweigert hatten, sie zu verlassen. Leuchtreklamen sprangen an, die Schmuckleuchten an den Fassaden der Bürogebäude strahlten wieder. Ihre Kollegen lachten, redeten wild durcheinander. Telefone läuteten, doch für ein paar Minuten hob niemand ab. Angström musste an ihre Nacht im Gefängnis denken, an die amerikanische Journalistin und Piero Manzano. Seit ihrer Abreise nach Den Haag hatte sie nicht mehr mit ihnen gesprochen. Sie hatten nur eine Nachricht hinterlassen, dass sie gut angekommen waren, aber da hatte Angström zu Hause geschlafen. Heute Morgen hatte sie im Internet einen kurzen Exklusiv-Bericht von Shannon über die Ereignisse in Istanbul gesehen. Auch Manzano war kurz am Bildrand aufgetaucht. Abwesend klopfte Angström noch einer Kollegin, die sie umarmte, auf die Schulter, dann setzte sie sich an den nächstbesten Schreibtisch und wählte die Nummer ihrer Eltern in Göteborg. Die Leitung war besetzt. Sie versuchte ihre Schwester. Landete auf einem Anrufbeantworter, hinterließ eine kurze Nachricht.
Mehr und mehr Kollegen kehrten an ihre Arbeitsplätze zurück, begannen ebenfalls zu telefonieren. Wie Angström den Gesprächen entnahm, meistens mit Verwandten oder Freunden. Jeder wollte nun die erreichen, die ihm am wichtigsten waren. Auch sie wollte noch von einigen erfahren, ob bei ihnen alles in Ordnung war. Sie ging wieder in ihr eigenes Büro. Dort klingelte gleichfalls das Telefon. Sie hob ab.
»Hey«, hörte sie Piero Manzanos Stimme. »Wie geht es dir?«
Berlin
»Das große Aufräumen beginnt«, stellte Staatssekretär Rhess fest. Die Aufmerksamkeit der Runde hatte er. »Vorrangig ist dabei der Aufbau der Versorgung mit Wasser, Lebensmitteln und Medizin. Bei allen wird es nicht von heute auf morgen gehen, aber mehr dazu erklärt Ihnen die Kollegin Michelsen.«
Und ich darf wieder die schlechten Nachrichten überbringen, dachte diese.
»Mit einer einigermaßen stabilen Energieversorgung sind die Grundvoraussetzungen gegeben«, begann sie.
»Wieso nur einigermaßen?«, rief der Verteidigungsminister dazwischen. Er hatte seine Niederlage im Kampf um die Deutungshoheit noch nicht verwunden und behinderte die Arbeit, wo er konnte.
Michelsen ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Bundeskanzler den Querulanten aus dem Kabinett beförderte.
»Weil durch den Stromausfall einige Anlagen schwer beschädigt wurden. Dadurch fehlen Kapazitäten. Andererseits ist die Nachfrage noch längst nicht so hoch wie vor dem Stromausfall, da viele Industriebetriebe ihre Produktion erst im Lauf der kommenden Tage und Wochen wieder werden aufnehmen können.«
Sie rief das Bild eines einfachen Wasserhahns, wie er in Millionen Haushalten zu finden war, auf die Monitorwand.
»In etwa siebzig Prozent des Bundesgebiets brach die Wasserversorgung völlig zusammen.«
Sie hatte das Bild einer Waschmittelwerbung gefunden, die den Schmutz in Toiletten als gruslige Comicfiguren darstellte, und blendete es nun ein.
»Wasser konnte nicht mehr verteilt und zu den Abnehmern gepumpt werden. Dadurch kommt es zu Lufteinschlüssen in den Leitungen, oder diese fallen überhaupt trocken. Das führt in verhältnismäßig kurzer Zeit zu einer Verkeimung der Leitungen. Soll heißen, Wasser, das nun durch diese Leitungen gepumpt würde, wäre gesundheitsgefährdend. Bevor das Wasserversorgungssystem in diesen Gebieten wieder verwendet werden kann, sind umfangreiche Reinigungsmaßnahmen nötig. Diese sind zeit- und personalintensiv, werden voraussichtlich mehrere Wochen in Anspruch nehmen. Währenddessen muss die betroffene Bevölkerung weiterhin über Ausgabestellen versorgt werden.«
Von überquellenden Toiletten
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