BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
USA geht in die Hunderttausende, vielleicht Millionen. Die wirtschaftlichen Schäden betragen Billionen, an ihnen werden die betroffenen Volkswirtschaften noch lange zu tragen haben.«
Shannon hatte sie auf Kosten des Senders in einem der besten Hotels Den Haags einquartiert. Jeder von ihnen in einem eigenen Zimmer. Manzano genoss die frische Bettwäsche, das Bad, Momente der Ruhe. Nun lag er auf dem Bett, frisch geduscht, in den weichen Bademantel gehüllt, den das Hotel überraschend schnell zur Verfügung gestellt hatte, und freute sich für Shannon. Das war ihr Moment. Als erste Journalistin der Welt konnte sie von der Verhaftung berichten und dazu exklusives Hintergrundmaterial liefern. Er war fasziniert von ihrer Erscheinung. Obwohl sie seit Nächten kaum geschlafen und die vergangene durchgearbeitet hatte, sah sie aus wie nach einem Wellnessurlaub. Oder hatte ihr eine Stylistin geholfen?
»Wer sind die Verbrecher, auf deren Konto so viel Leid und Elend geht? Was sind ihre Motive?«
Hinter ihr wurden nacheinander die Porträts der Verhafteten und Toten gezeigt, die während der Ermittlungen in Bollards Kommandozentrale gehangen hatten, nur jetzt mit schwarzen Balken vor den Augen.
»Noch nennen die Behörden keine Namen« – und Shannon tat es auch nicht, obwohl sie könnte, dachte Manzano –, »doch erste Spuren deuten auf einen eigenartigen Mix radikaler Anarchisten, die im Kapitalismus, in der modernen Technik und unfähigen, korrupten Politikern die Totengräber von Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Umwelt sehen. Geeint wurden sie wohl von einem fanatischen Hass auf unser Gesellschaftssystem, wobei es scheinbar gleichgültig war, woher dieser stammte, und dem Drang, es zu vernichten. Ich bin jetzt mit dem leitenden Ermittler von Europol verbunden, der an der Verhaftung der Täter teilgenommen hat.«
In einem Fenster wurde Bollard aus Istanbul zugeschaltet.
»Herr Bollard, was sind das für Menschen, die so etwas tun?«
»Das werden unsere Untersuchungen in den nächsten Tagen ergeben. Unter den Verhafteten finden sich Personen, die man gemeinhin sowohl dem linksradikalen Spektrum zurechnen würde, als auch solche, die ganz weit rechts eingeordnet werden könnten. Die Mehrzahl kommt aus Elternhäusern, die man in der Mitte der Gesellschaft ansiedeln würde, alle besitzen einen hohen Bildungsgrad.«
»Zeigen diese Profile vielleicht, dass so ein Schubladendenken längst überkommen ist und gesellschaftliche Wirklichkeiten nicht mehr abbildet?«
»Vielleicht. Unter Terroristen aller Lager findet man einen Typ besonders häufig, unabhängig von weltanschaulichen Präferenzen: Wir nennen ihn den Typ des ›Gerechten‹. Er oder sie – zu den Attentätern zählen auch Frauen – ist der festen Überzeugung, im Besitz der allein selig machenden Wahrheit zu sein. Was eigentlich nicht so schlimm wäre, jeder von uns kennt jemanden, der so denkt. Explosiv wird diese Eigenschaft, wenn solche Menschen zudem überzeugt sind, ihre Wahrheit mit jedem nur denkbaren Mittel durchsetzen zu dürfen. Zur Erreichung ihres vermeintlich höheren Ziels nehmen sie auch unschuldige Opfer in Kauf.«
»Wurden alle Täter verhaftet, wie viele sind es, und wo und wann werden sie vor Gericht gestellt?«
»Dazu kann ich Ihnen jetzt noch keine Antworten geben. Ich vermute, jedes betroffene Land wird sie anklagen. Wo tatsächlich Prozesse stattfinden werden, ist heute noch nicht absehbar.«
»Vielleicht ja sogar hier in der nächsten Nachbarschaft von Europol, beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag.«
»Wer weiß.«
Istanbul
Die Fernseher am Flughafen hatten ihm alles verraten. Nur wenige Stunden nach dem Sturm auf das Gebäude brachten die ersten Sender Bilder. Zu seiner Enttäuschung auch aus Mexico City. Damit nicht genug, war in weiten Teilen Europas und der USA der Strom zurück. Nun, sie würden sich noch wundern.
Jetzt saß er, nur ein paar Stunden nach Ende des Ausfalls, in einem Flugzeug von Istanbul nach Den Haag. Die Fluggesellschaften hatten ihre Linienflüge nach Europa, wenn auch nicht alle, so schnell wie möglich wieder aufgenommen.
Sie hatten es anders geplant. So, wie es begonnen hatte. Kein Strom mehr, nirgends. Mindestens drei bis vier Tage hatte er gerechnet, bis in dem Chaos jemand die Ursache der Ausfälle herausfinden würde. Mindestens zwei Wochen, bis die Leitstellen der Netze nach den Blue Screens wieder einsatzbereit wären. Für die Entdeckung der SCADA -Manipulationen hatte er mehrere
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