BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
Motorlärm zu, als sie gebückt auf das Fluggerät zuliefen.
»Ich auch nicht! Und ich hasse Fliegen!«
Ratingen
Im Poolraum herrschte trotz des Vormittags Dämmerlicht. Das Wasser im Becken war noch nicht zu kalt. Die dreißig Minuten Schwimmen hatten Wickley gut aufgewärmt. Er stieg in die kühle Luft hinaus. Er fröstelte, rubbelte schnell seine Haare, trocknete sich ab und schlüpfte in seinen Bademantel. Seine Frau betrat den Raum, eine Decke über den Schultern.
»Meinst du wirklich, dass die Einladung unter diesen Umständen stattfindet?«, fragte sie.
»Wir haben keine Absage bekommen«, antwortete Wickley. »Und frisch gemacht habe ich mich eben.«
»Eine heiße Dusche wäre mir lieber«, seufzte sie. »Außerdem, wer sagt dir, dass die Absage uns nicht erreicht hat? Wir sind weder über Festnetz noch mobil erreichbar. Und die Balsdorffs wahrscheinlich ebenso wenig. Wie also sollten sie uns informieren?«
»Siegmund von Balsdorff ist Vorstand eines der größten Energiekonzerne des Landes. Höchstwahrscheinlich hat er erstens eine Notstromanlage im Haus …«
»Im Gegensatz zu uns …«
»… denkt deshalb zweitens gar nicht daran, dass es bei seinen Gästen anders sein könnte …«
»So kann man sich täuschen …«
»… und diese daher davon ausgehen, dass eben auch er eine hat …«
»Warum haben wir eigentlich keine?«
»… und ganz abgesehen davon, sollte er tatsächlich absagen wollen, würde er einen Weg finden, und sei es, einen berittenen Boten zu senden.«
»Die Aussicht auf ein geheiztes Haus hat natürlich durchaus ihren Reiz.«
»Nun hör schon auf«, sagte Wickley und nahm sie in den Arm. »Du hast bis eben gemütlich vor dem Feuer am offenen Kamin gesessen und sicher nicht gefroren.«
»Aber mangels funktionierender Dusche und Badewanne müsste ich auch noch in dieses Eisbecken, um mich frisch zu machen«, klagte sie.
Wickley strich sich die Haare zurück.
»Wenn du keine Lust hast, fiele mir natürlich auch etwas anderes ein, um uns aufzuwärmen.«
Er fuhr mit seiner kalten Hand unter ihre Bluse.
Sie schrie auf und sprang zur Seite.
»Überredet!«, rief sie. »Wir fahren zu den Balsdorffs.«
Saint-Laurent-Nouan
Marpeaux hielt sich im Hintergrund. Bei ihm standen mittlerweile die Pressesprecherin und der Kraftwerksleiter persönlich. Die Leitstelle blinkte wie ein Weihnachtsbaum. Fast alle Kraftwerksfahrer standen mit dicken Büchern vor den Armaturen und suchten nach den Erklärungen für die Meldungen. Der Schichtleiter lief zwischen ihnen hin und her, diskutierte da, gab dort eine Anweisung. Dann telefonierte er. Schließlich kam er zu Marpeaux und dem Direktor.
»Druck im Reaktor und Temperatur im Primärkühlsystem steigen weiter«, berichtete er. Auf seiner Stirn entdeckte Marpeaux einen dünnen Schweißfilm.
Sämtliche in Frankreich aktiven Kernkraftwerke betrieben Druckwasserreaktoren. Im Unterschied zu Siedewasserreaktoren, wie etwa in der Katastrophenanlage Fukushima-Daiichi, besaßen sie zwei gesonderte Kühlkreisläufe, einen primären und einen sekundären. In Druckwasserreaktoren beschränkte sich hohe Radioaktivität auf den Primärkreislauf. Dieser lief durch den Druckbehälter des Reaktors, wo das Wasser bei einem Druck von etwa 150 bar auf 320 Grad Celsius erhitzt wurde. Nach dem Prinzip eines Wärmetauschers lief dieses heiße Wasser nun durch Rohre, die ihrerseits von Wasser des Sekundärkreislaufs umgeben waren, das sie erhitzten. Dank der Rohre blieb die Radioaktivität weitestgehend im Primärkreislauf gefangen. Während das wieder abgekühlte Wasser danach erneut durch den Reaktor geschickt wurde, erzeugte der nun erhitzte Sekundärkreislauf jenen radioaktivitätsarmen Dampf, der die Turbinen antrieb. So gesehen war der Druckwasserreaktor relativ sicher. Nicht jedoch ihrer in diesem Augenblick.
Fieberhaft überflog Marpeaux die zahllosen möglichen Gründe für die Anomalie – von einem Ausfall der Dieselaggregate über fehlerhaft geöffnete oder geschlossene Ventile bis zu elektronischen Pannen bei der Steuerung des Systems oder Defekten, die bis jetzt noch niemand kannte. So viel hatten die weltweiten Zwischenfälle in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt: Viele Störfälle hatten die Experten vorher für unmöglich gehalten – bis sie eingetreten waren.
»Die Dieselmotoren?«, fragte Marpeaux.
»Zwei sprangen nicht an und der, der beim letzten Mal defekt war, laut Instrumenten schon. Drei Teams sind vor Ort und untersuchen die
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