BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
Geräte gerade.«
Sie mussten dringend die Temperatur im Primärkreislauf unter Kontrolle bekommen, ebenso wie den Druck im Reaktorgefäß. Noch hatten sie dazu ausreichend Möglichkeiten, bevor sie drastischere Maßnahmen ergreifen mussten, etwa hoch radioaktiven Dampf aus dem Primärkreislauf abzulassen, um den Druck im Reaktorbehälter zu verringern.
Unweigerlich schossen Marpeaux die zwei partiellen Kernschmelzen durch den Kopf, die Saint Laurent bereits erlebt hatte. Sowohl jene 1969 als auch die von 1980 hatten in den längst stillgelegten Magnoxreaktoren einer veralteten Bauart der Blöcke A1 und A2 stattgefunden. Mit Stufe 4 auf der siebenstelligen Skala für die Internationale Bewertung Nuklearer Ereignisse INES hatte sie die französische Atomaufsichtsbehörde als die schwersten Unfälle kategorisiert, die sich jemals in Frankreich ereignet hatten. Danach waren die Blöcke für Jahre unbrauchbar gewesen, Dekontaminierung und Wiederinbetriebnahme hatten Vermögen verschlungen. Ein paar Jahre später waren sie stillgelegt worden.
»Paris wird sich nicht freuen«, bemerkte der Direktor.
Marpeaux fragte sich, ob er damit die Électricité de France oder die Behörden oder beide meinte. Ein Störfall käme zur Unzeit. Per Fernsehen oder Rundfunk würden Informationen und Warnungen in der momentanen Situation die Bevölkerung kaum erreichen. Was vielleicht sogar besser war, solange die Notwendigkeit nicht bestand. Wesentlich mehr beunruhigte Marpeaux die Tatsache, dass sie in Wahrheit keine Ahnung hatten, was im Reaktor vor sich ging. Seit einer Stunde waren sie praktisch im Blindflug unterwegs.
Den Haag
Der Hubschrauber hatte sie zu einem Militärflughafen bei Innsbruck gebracht. Von dort flog sie ein kleiner Düsenjet nach Den Haag. Mit an Bord war ein österreichischer Kontaktoffizier der Europol. Er berichtete seinen Kenntnisstand, oder das, was er dafür ausgab, und das war nicht viel. Weiterhin waren mehr als drei Viertel Europas ohne Strom. Kleinere Regionen und einige Städte hatten eine Grundversorgung hergestellt. Manzano versuchte vorsichtig herauszufinden, ob er überhaupt schon von den Codes in den italienischen und schwedischen Zählern wusste. Falls ja, ließ er es nicht durchblicken.
Als sie den Flieger in den Niederlanden verließen, empfingen sie kalter Wind und einzelne Regentropfen. Am Fuß der Flugzeugtreppe erwartete sie ein Mann in einem dunklen Wintermantel. Er hatte kurze, braunrote Haare, die sich zu lichten begannen. Manzano fiel sein aufmerksamer Blick auf. Er stellte sich als François Bollard vor.
»Was ist mit Ihrem Kopf passiert?«
Manzano musste wohl damit rechnen, noch öfter danach gefragt zu werden. Vielleicht sollte er sich eine witzige Antwort zurechtlegen, aber zu Scherzen war er nicht aufgelegt.
»Eine Ampel ist ausgefallen«, erwiderte er.
»Nicht nur eine. Jetzt bringen wir Sie erst einmal in Ihr Hotel, Herr Manzano. Es liegt in Gehweite zu meinem Büro. In zwei Stunden gibt es eine erste Besprechung, an der Sie teilnehmen sollen. Für die Weiterreise von Frau Angström nach Brüssel haben wir einen Wagen organisiert. Er steht bereits vor dem Hotel.«
»Danke. Hoffentlich hat er genug Benzin«, sagte Angström.
»Die Behörden haben ausreichend Treibstoffreserven, um ihren Betrieb aufrechtzuerhalten«, erklärte Bollard.
Manzano spürte leises Bedauern, dass er Angströms Gesellschaft verlieren sollte. Er hatte ihre zupackende und direkte Art schätzen gelernt. Außerdem war sie eine gute Zuhörerin und besaß Humor.
»Wenn Sie mit uns zusammenarbeiten, wollen Sie vermutlich Ihren Computer benutzen«, sagte Bollard. »Außerdem brauchen wir unsere eigenen selbst. Natürlich müssen wir Ihren kurz auf Malware überprüfen. Wäre das in Ordnung?«
Manzano zögerte.
»Wenn ich dabei bin«, stimmte er schließlich zu.
Sie fuhren durch Straßen mit schönen alten Häusern, die einen Eindruck vom einstigen Reichtum der Händlerstadt vermittelten. Manzano war zum ersten Mal in den Niederlanden. Ausgerechnet vor einem gesichtslosen Neubau hielten sie. Über dem Eingang stand »Hotel Gloria«.
»Ich habe eine etwas unverschämte Frage«, begann Angström. »Darf ich noch in dein Zimmer mitkommen, um mich zu duschen? In meiner Wohnung in Brüssel kann ich das ja vermutlich bis auf Weiteres nicht.«
»Selbstverständlich«, antwortete Manzano und freute sich über den hinausgezögerten Abschied.
Bollard drückte Manzano einen kleinen Stadtplan in die Hand und
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