Blackout
sein – da war Ockhams Rasiermesser schon arg schartig, wenn ich’s so überdachte.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer drang jedoch durch meine Erschöpfung. Wenn ich eine Erinnerung von der Nacht wiedergefunden hatte, in der Geneviève gestorben war, dann konnte ich noch mehr finden. Was bedeutete, dass ich bis zur Wahrheit vordringen konnte, als wie hässlich auch immer sie sich herausstellen würde.
Mein Handy klingelte, und ich fuhr zusammen. Ich stöpselte meinen Kopfhörer ein und fragte mich, wer mich um Mitternacht wohl noch anrief.
Donnies Stimme tönte aus dem Hörer. »Wo sind Sie denn gewesen? Wir haben es den ganzen Abend über bei Ihnen versucht. Terry hat am Ende Ihre Handynummer herausgefunden.«
»Es geht mir gut«, sagte ich. »Bin nur ein bisschen spazieren gefahren.«
»Die erste Nacht kann manchmal ziemlich heftig sein.«
Ich blickte auf meine Hände hinab, die das Lenkrad umklammert hielten. »Wie kommen Sie denn darauf?«
Er griff meinen sarkastischen Ton auf und lachte. »Wollen Sie Gesellschaft haben? Terry und ich könnten bei Ihnen vorbeikommen.«
»Danke, aber ich glaube, mir geht’s ganz gut.«
»Tja, also wenn es irgendwas gibt, was wir tun können.«
»Da wäre tatsächlich was …« Die Idee kam mir in diesem Moment in den Sinn, als hätte sie die ganze Zeit schon kurz unterhalb der Bewusstseinsschwelle gelauert. »Ich dachte, ob ich wohl die Akten meines Falls einsehen könnte?«
»Wir haben den Fall gewonnen, Andrew. Sie sind das jetzt alles los.« Er machte eine kleine Pause, bevor er weitersprach. »Schreiben Sie ein Buch?«
»Ich möchte bloß genau durchgehen, was alles passiert ist.«
»Wie wär’s denn, wenn Sie sich einfach eine Nacht Ruhe gönnen würden? Sogar Katherine Harriman ist ausgegangen und gönnt sich einen Drink. Einer von unseren Rechtsassistenten hat sie gerade auf der Promenade gesehen, wie sie in ihren Martini heulte.«
»Katherine Harriman weint nicht. Und in der Öffentlichkeit schon gar nicht.«
»Und das sollten Sie auch nicht. Jedenfalls nicht heute Nacht. Hören Sie, Terry und ich haben das schon oft mit unseren freigesprochenen Mandanten erlebt. Sie lassen den Prozess immer wieder Revue passieren, können einfach nicht davon ablassen, wie bei einem wackligen Zahn, an dem man immer wieder mit der Zunge herumspielt. Ich weiß nicht, wahrscheinlich suchen Sie irgendwie nach Absolution oder so. Aber Sie finden sie nicht. Erlauben Sie mir, Ihnen einen Rat zu geben. Lassen Sie los. Kehren Sie in Ihr altes Leben zurück.«
»Ich hätte wirklich gerne diese Akten, Donnie.«
Er atmete geräuschvoll in den Hörer. »Tja, dann – schon unterwegs, Andrew. Wir werden sie Ihnen sicher nicht vorenthalten. Wir brauchen nur ein, zwei Tage, um Kopien zu machen.«
»Danke.«
»Sonst noch was?«
»Ja«, sagte ich. »In welcher Bar hat Ihr Rechtsassistent Katherine Harriman gesehen?«
Verschämt einen halben Block von der stark frequentierten Third Street Promenade in Santa Monica zurückgesetzt befindet sich das Voda. Es führt über hundert Wodkamarken und die einzige Sorte Kaviar, die wirklich zählt. Mit seinen Türstehern im schwarzen Anzug und den reservierten Tischen versucht es sich einen Anstrich von Exklusivität zu verleihen, aber die Restaurantleitung ist sich nicht zu fein, Touristen hereinzulassen, wenn die gepolsterten Sitzecken sich einmal nicht recht füllen wollen. Sobald ich den Türsteher passiert hatte, der kurz zögerte, weil er mich zwar wiedererkannte, mich aber nicht recht einordnen konnte, warteten im Lokal die Flaschen mit dem Import-Wodka auf steinernen Simsen an der Wand sowie jede Menge todschicke Menschen, die ebenfalls für Konsum zur Verfügung standen. Kerzen, hawaiische Protea-Blüten und künstliche Wasserfälle an gefliesten Wänden machten das Bild des verquasten Tropen-Gulags komplett.
Katherine Harriman saß an der schwarz lackierten Theke auf einem Barhocker, die schlanken Beine überkreuzt. Sie bearbeitete gerade eine Silberzwiebel, die auf dem Rand ihres Glases aufgespießt war, und sah mir entgegen, ohne auch nur die Augenbraue zu heben.
Ich ließ mich in den Drehhocker neben ihr fallen und bestellte einen Brilliant Vodka on the rocks, an dem ich roch, den ich aber unangetastet auf seiner Cocktailserviette stehen ließ. Sie ignorierte mich so gründlich, als hätte sie die Kunst des Männerignorierens im Laufe ihres Lebens perfektioniert. Wir saßen also nebeneinander und sahen zu, wie das Wasser über
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