Blackout
die geflieste Wand rann, bis ich endlich meinen ganzen Mut zusammengenommen hatte.
»Ich wusste von meinem Gehirntumor.« Nachdem ich die Worte endlich ausgesprochen hatte, echoten sie in meinem Kopf. »Ich hatte gerade keine Krankenversicherung und wartete auf meinen nächsten Vertrag, um mich wieder bei der Schriftstellerkasse versichern zu können. Sechs Monate lang hatte ich ständig Migräne, und nach einem kurzen Ohnmachtsanfall bin ich zu einem privaten Arzt in Ventura gegangen. So vermied ich offizielle Aufzeichnungen, für den Fall, dass bei dem Test irgendwas rauskommen sollte. Deswegen ist auch nichts in den Krankenakten aufgetaucht, die Sie verlangt haben.«
Ich sagte nicht, dass es neben dem Geld noch einen anderen Grund gegeben hatte, warum ich nach der Diagnose nichts unternahm – obwohl das Geld natürlich eine bedeutende Rolle gespielt hatte. Ich hatte Zeit schinden wollen, weil der Abgabetermin für ein Buch näher rückte, außerdem war da noch eine Lesereise geplant, und ich hatte eine neue Beziehung. Außerdem hatte ich Angst, das wäre jedem so gegangen. Wenn man selbst über einen operativen Eingriff bestimmen kann, wie schnell entschließt man sich dann dazu, dass man ein paar Leute in seinem Hirn herumwühlen lässt? Wie wählt man den Tag aus? Was, wenn man nie wieder aufwacht? Und, noch schlimmer: Was, wenn ihnen ein Fehler passiert und du
wachst
auf?
Ein paar Tage, nachdem ich bewusstlos vor der Waschmaschine zusammengebrochen war, hatte ich einen Termin bei einem Neurologen gemacht, der mir die unselige Diagnose mitteilte. Der Arzt drängte mich, die Operation unbedingt vornehmen zu lassen, aber unter dem Schutz der ärztlichen Schweigepflicht vertraute ich ihm an, dass ich lieber das Risiko eingehen und noch abwarten wollte. Der Prozess hatte mir jede Menge Gelegenheit gegeben, mir seine Antwort ins Gedächtnis zu rufen.
Sind Sie auch bereit, das Leben der Familie zu riskieren, die Ihnen in ihrem Minivan entgegenkommt, wenn Sie hinterm Steuer ohnmächtig werden?
Harriman zog mit den Zähnen die Silberzwiebel von ihrem Plastikspießchen, und während sie kaute, fragte ich mich, ob sie mir überhaupt antworten würde. Schließlich fragte sie: »Wie viel sollte diese Operation denn kosten?«
»Zweiundsechzigtausend.«
»Und wie hoch war Ihr Vorschuss für die Anwälte?«
»Zweihundertfünfzig.«
Sie kicherte – sie konnte nicht anders –, und erst nach einem Augenblick ging mir auf, dass sie über uns beide lachte.
»Tja«, sagte sie. »Ich bin sicher, Sie werden jetzt jede Menge Angebote für Drehbücher bekommen.«
»Ja, ich hatte mir gedacht, das wäre doch mal eine effektive Strategie, um meiner Karriere auf die Sprünge zu helfen.«
»Ihre Naivität ist umwerfend. Sie wirkt sogar aufrichtig.« Sie zog eine Grimasse, dann bedeutete sie dem Barkeeper mit einer Geste, dass sie noch einen Drink wollte. Ganz bestimmt nicht ihr zweiter.
»Wie?«
»Was Sie mir da eben bestätigt haben, kommt nicht wie der Blitz aus heiterem Himmel. Wir hatten das natürlich auch in Betracht gezogen und entsprechende Nachforschungen angestellt.«
»Warum haben Sie mich denn nicht danach gefragt, als ich im Zeugenstand war?«
»Weil wir nicht sicher waren, und selbst wenn wir recht gehabt hätten, hätten Sie gelogen.«
»Warum glauben Sie das?«
»Wenn Sie ein ehrlicher Mensch wären, würden Sie nicht in eine Privatpraxis gehen, um offizielle Aufzeichnungen zu vermeiden und so Ihre Krankenkasse zu betrügen.«
»Ein Punkt für Sie. Aber unter Eid hätte ich niemals gelogen.«
»Tja, Sie müssen mir meine Skepsis schon verzeihen, aber ich hatte wenig Lust, meinen Fall auf Ihrer Integrität aufzubauen.« Sie trank einen tüchtigen Schluck. »Der Staatsanwalt kann einen Zeugen nicht einfach so der Lüge beschuldigen. Wir sind hier nicht auf dem Pausenhof. Bei den Büchern, die Sie so schreiben, müsste Ihnen das auch klar sein. Ich müsste Beweise oder Zeugen beibringen, die Ihre Aussage
widerlegen.
Und Ihre Anwälte haben mir keinen Angriffspunkt gegeben. Die sind übrigens ziemlich überbezahlt. Aber was weiß ich schon? Hey, Sie haben gewonnen. Irgendwie jedenfalls.« Sie grinste mich breit an, als wolle sie mir tatsächlich gratulieren. »Wenn Sie als ach so aufrichtiges Kerlchen Ihr Gewissen schon gestern aktiviert hätten … Wer weiß, vielleicht würde ich dann gar nicht hier sitzen?« Sie schnalzte mit dem Fingernagel gegen den Rand ihres Glases. »Warum heute, Danner? Und
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