Blackout
geschlagenen Ball gesund werden.« Er legte eine kurze Pause ein und streckte seine dicken Arme. »So hübsch das auch alles sein mag. Was ich damals geleistet habe, kann man noch nicht mal unter Luxus verbuchen. Soll ich jetzt lamentieren, dass man mich abgeschoben hat? Dass man mich hasst? Scheiße noch mal, da arbeite ich doch lieber daran, meine Barbecue-Sauce zu perfektionieren. Da weiß ich wenigstens, dass man dafür einen Mann mit Köpfchen braucht.«
»Aber ich habe mehr verbrochen, als nur einen zu hoch geschlagenen Ball nicht aufzufangen«, sagte ich.
»Ach, jetzt weißt du also plötzlich, was du getan oder nicht getan hast?« Er schnipste sich ein Maiskorn vom Knie. »James hat letzte Woche eine Projektarbeit zum Thema Umweltverschmutzung geschrieben. Dieser betrunkene Vollarsch von Exxon-Valdez-Kapitän hat da oben vierzig Millionen Liter Rohöl in den Sund laufen lassen. Vierzig Millionen. Hat ungefähr eine Squillion Vögel und anderes Zeugs umgebracht. Die Regierung sagte – und auch wenn ich meinen Highschool-Abschluss bloß als Externer gemacht habe, meiner bescheidenen Meinung nach ist die Regierung immer gerne ein bisschen zu optimistisch –, dass es dreißig Jahre dauern wird, bis alle Schäden wieder behoben sind. Das heißt, es dauert also noch bis … Scheiße, bis zum Jahr 2020 . Und während ich so tue, als würde ich James bei seinem Aufsatz helfen, solange Angela noch mit Asia im Bad beschäftigt ist, denke ich mir die ganze Zeit: Wahnsinn, wie schafft es dieser arme Scheißer eigentlich, jeden Morgen aufzustehen? Nachdem James zu Bett gegangen ist, schaue ich nach, was aus unserem Kapitän geworden ist. Er arbeitet in Long Island für eine Versicherung. Wacht jeden Tag auf, trinkt seinen Kaffee und geht dann schön zur Arbeit wie wir anderen Jammergestalten auch. Er hat auch seine Mäuler zu stopfen. Sein Glück, würde ich mal sagen.« Er sah zu mir herüber und fragte: »Was ist los mit dir? Die Geschichte sollte dich aufmuntern.«
»Ich wusste von meinem Tumor. Schon monatelang.« Ich suchte nach Schock oder einem Urteilsspruch in seinem Gesicht, ohne eins von beiden zu finden. »Ich hatte viel zu viel Angst und war obendrein zu pleite, um irgendetwas unternehmen zu können. Ich hab das Ganze geheim gehalten, weil ich mir Sorgen machte, dass die Krankenkasse nicht zahlen würde, wenn ich mich wieder bei ihnen versicherte, denn die Krankheit hätte ja schon vor meinem Wiedereintritt vorgelegen.«
»Und?«
»Und?«
»Soweit ich das mitbekommen habe, hat dich kein Anwalt nach deinem Tumor gefragt. Du hast keinen Meineid geleistet. Und soweit ich weiß, ist es kein Verbrechen, wenn man darüber
nachdenkt,
die Krankenkasse zu betrügen. Ich bezweifle sowieso, dass du die Kaltschnäuzigkeit gehabt hättest, das so durchzuziehen.«
Es fehlte nicht viel zu der bösartigen Ironie des Schicksals, die in den letzten Monaten ihren Teil zu meiner Schlaflosigkeit beigetragen hatte. Geneviève mochte aufgrund meines Gehirntumors gestorben sein, aber ihr Tod hatte mir höchstwahrscheinlich das Leben gerettet.
»Damit wäre ich schuldig, auch wenn ich unschuldig wäre«, bemerkte ich.
»Nein, damit wärst du nicht schuldig. Es gibt dir das
Gefühl,
schuldig zu sein. Es macht dich
noch
schuldiger, wenn du es wirklich getan haben solltest. Aber was auch immer passiert ist oder nicht, ich stehe hinter dir.«
»Auch wenn ich
hundertfünfzig
Prozent schuldig bin?«
»Wenn du unschuldig wärst, bräuchtest du doch überhaupt keine Hilfe, oder?«
Ich hatte Angst, dass mir die Stimme versagen würde, wenn ich ihm dankte, aber er las ohnehin in meinem Gesicht, was ich ihm sagen wollte.
Er zwinkerte und trank noch einen Schluck von seinem Beinahe-Bier. »Es heißt immer, ein echter Freund ist jemand, der dir beim Schleppen der Umzugskisten hilft. In dem Viertel, wo ich herkomme, ist ein echter Freund jemand, der dir beim Schleppen der
Leiche
hilft.« Er legte den Kopf schief und heftete seine braunen Augen auf mich. Seine fast schon feminin geschwungenen Wimpern passten nicht zu seiner übrigen Erscheinung. »Wie wär’s denn, wenn du mir jetzt mal erzählst, was hier wirklich abgeht?«
Ich erzählte ihm von dem Traum, den ich in der vorigen Nacht gehabt hatte, vom Schnitt an meinem Fuß und meiner Fahrt zu Genevièves Haus. »Ich kann nicht damit leben«, sagte ich. »Ich wache auf und weiß nicht, wo ich gewesen bin. Ich habe eine beschissene Digitalkamera in meinem Schlafzimmer
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