Blackout
vielleicht sogar du selbst glauben, dass du der Mörder bist? Im ganz realen Leben? Nirgends kann man da hingehen, verdammte Scheiße.
Oder vielleicht, wenn man Glück hat, kann man noch schlafen gehen. Und genau das würde ich jetzt auch tun.
Ich hatte gerade zwei Schritte in mein Schlafzimmer gemacht, da erstarrte ich.
Mein Gehirntumor war verschwunden. Abgesehen von meinem Radiowecker und der Leselampe war mein Nachtkästchen leer. Kein Glas, nicht einmal ein Tröpfchen Formaldehyd.
Meine Haut prickelte wie von lauter kleinen elektrischen Entladungen.
Zum letzten Mal hatte ich ihn mit Sicherheit gesehen, als ich von der Veranda zurückgekommen war, wo ich eine Zigarre geraucht hatte. Hatte ich das Glas versteckt oder weggeworfen, als ich in meiner Fußschneidetrance war? Die Panik verhärtete sich in meiner Kehle zu einem Klumpen und schnürte mir den Atem ab. Hektisch fuhr ich mir mit den Händen durchs Haar, wobei ich das Narbengewebe an meiner linken Handfläche spürte. Die Schubladen meines Nachttischchens enthielten das Übliche. Als Nächstes durchwühlte ich meinen Badezimmerschrank, dass die Fläschchen und Tablettenschachteln nur so auf die Ablage herunterregneten. Ich nahm mein Büro auseinander, zerrte Schubladen heraus und knallte sie wieder zu, grub mich durch den Abfalleimer. Danach war das Gästezimmer im Erdgeschoss dran, dann das Wohnzimmer. Als ich in die Küche kam, sah ich etwas in der Spüle aufglänzen.
Ein gebogenes Stück dickes Glas.
Ich trat einen Schritt näher heran. Der vertraute Schraubverschluss, ein Haufen Scherben. Kein Gangliogliom.
Ich war heute erst einmal in der Küche gewesen, und zwar, um mir die Dose mit den Mandeln zu holen. Hatte ich da auch schon in die Spüle geschaut? Wahrscheinlich nicht. Und letzte Nacht, nachdem ich meinen eigenen blutigen Fußspuren durchs Haus gefolgt war? Hatte ich hingesehen? Auf jeden Fall nicht so genau.
Ich sammelte die Scherben aus dem Becken und legte sie auf die Ablage. Nachdem ich die Gummimanschette des Müllschluckers eine Weile angestarrt hatte, streifte ich den Ärmel meines Sweatshirts hoch und schob vorsichtig meine Hand in die Mündung. Nervös behielt ich den Schalter im Auge, der jederzeit die rotierenden Klingen in Bewegung setzen konnte, mit denen der Müll zerkleinert wurde. Ich tastete mit der Hand nach meinem Tumor und gruselte mich dabei gleichzeitig ein bisschen davor, wie er sich anfühlen mochte. Glitschig und fest? Feucht? Kleine Glassplitter stachen mich in die Finger. Ich suchte gründlich, aber im Müllschlucker war nichts zu finden. Hatte ich gestern den Schalter gedrückt und den Tumor ein für alle Mal weggespült? Oder hatte mein unbekannter Verfolger ihn gekidnappt, um mich noch tiefer in meine Paranoia zu treiben?
Ich nahm eine Flasche mit zwanzig Jahre altem Warre’s Portwein aus ihrem hölzernen Behälter und legte die Überreste des zerbrochenen Glases hinein. Dann vollzog ich die letzten Riten, indem ich die volle Flasche Portwein in den Schlund des Müllschluckers goss, in dem auch der Tumor gelandet sein mochte.
Erschöpft und ratlos ging ich wieder ins Obergeschoss, kroch ins Bett und nickte schließlich ein.
Um vier Uhr morgens implodierte mein Haus.
[home]
9
D as laute Rumsen von unten ließ mich mit einem Schrei aus dem Schlaf fahren. Dann hörte ich, wie schwere Gegenstände quietschend über den Boden gezogen wurden. Glas zersplitterte. Eine Flutwelle aus Menschen ergoss sich in mein Haus. Stiefel stapften meine Treppe hoch. In meinem benebelten, halbwachen Zustand erschienen mir die Eindringlinge wie die reinsten Teufel. Einen Moment lang kam es mir vor, als wäre ich wieder in meiner Zelle, wo die Phantomstimmen vom Hof zu mir emporstiegen.
Benommen starrte ich zur Tür, die mit einem Knall aufflog. Gestalten in schwarzer Kleidung, mit Schutzbrillen, kugelsicheren Westen und irgendwelchen Waffen strömten herein. Dunkle Handschuhe packten mich am rechten Handgelenk und Knöchel und rissen mich aus dem Bett.
»Verdammte Scheiße, runter mit dir und liegen bleiben!«
»Die Hände sichtbar über den Kopf! Die Hände sichtbar über den Kopf!«
Meine Beine spreizten sich wie von selbst, und Hände tasteten mich nach versteckten Waffen ab – kein sonderlich schwieriges Unterfangen, da ich nur Boxershorts trug. Obwohl ich schon auf dem Boden lag und mein Gesicht auf den Teppich gepresst wurde, sah ich auf meiner Netzhaut noch die weißen Blockbuchstaben. LAPD SWAT .
Ich drehte
Weitere Kostenlose Bücher