Blade 02 - Nachtklinge
Eigentum des Patriarchen, der störrisch seine Rechte verteidigte. Heute Nacht würde es ihm schlecht bekommen, wenn er auf diesen Rechten beharrte. »Leg dort drüben an.«
»Wo denn, Herr?«
»An dem Steg dort drüben.«
Tycho sprang aus dem Boot, ehe der Mann es vertäut hatte, und sank an Land auf die Knie. Der Kontakt mit der Erde vertrieb den Schwindel, er konnte wieder klar denken.
»Herr …«
»Warte.« Tycho zerrte Rosalie aus dem Boot und trug sie ebenfalls an Land, wo sie zusammensackte. »Seereisen sind nichts für mich. Für meine Dienerin auch nicht.«
Der Mann schwieg.
Tycho zog eine Geldbörse aus seiner Tasche. Er überlegte, wie viele Münzen er geben sollte, warf dem Schmuggler dann aber den ganzen Beutel zu. »Du hast nichts gesehen.«
»Nein, Herr, nicht das Geringste.«
Er stieß sich von der Anlegestelle ab in die Strömung, wo er verharrte und prüfend in den Beutel spähte.
»Die Münzen sind echt«, sagte Tycho, und der Mann ruderte eilig davon.
Wie die meisten Brücken Venedigs besaß die Steinbrücke zwischen San Pietro und dem Arsenal kein Geländer, war aber so breit und stabil gebaut, dass ein Ochsenkarren von der Riva degli Schiavoni bis zum Sitz des Patriarchen fahren konnte. Tycho und Rosalie überquerten die Brücke, hielten sich in der Mitte und waren froh über das massive Mauerwerk unter ihren Füßen.
»Hast du dich erholt?«, fragte Tycho.
Er deutete auf die Dachkante eines der Lagerhäuser am Rand des Arsenals. Rosalie nickte. Kurz darauf lag die erste Bootswerft unter ihnen. Hinter einer weiteren Werft erreichten sie das typische Netz aus engen Gassen und Wasserwegen. Wenig später sahen sie die Kuppeln von San Marco, die Dächer des Dogenpalasts und einen Teil des Campanile.
In der Ferne schlug eine Glocke die Stunden. Rosalie zählte nur jeden zweiten Schlag, um den Teufel in die Irre zu führen, fügte der Endzahl eine hinzu und teilte Tycho anschließend stolz mit, was er schon wusste. Es war drei Stunden vor Mitternacht.
»Sieh mal«, fügte sie hinzu.
Tychos Magen krampfte sich zusammen.
An einer prunkvollen Kogge in der Lagune flatterte Prinz Leopolds Fahne.
Erst auf den zweiten Blick fielen ihm die Unterschiede auf. Es war derselbe Adler, eingerahmt von derselben gezackten Linie, dem Zeichen der Bastarde. Aber die Krone über dem Haupt des Adlers sah schlichter aus, und der Vogel hielt kein Szepter, sondern den Reichsapfel in seinen Klauen.
Er spähte zum Festland hinüber. Lagerfeuer flackerten dort, wo sonst Dunkelheit herrschte; die weißen Flecken waren vermutlich Zelte. Leopolds Bruder war mit einer Armee nach Venedig gekommen.
»Verdammt noch mal.«
Nun wusste Tycho, warum man Giulietta plötzlich nach Venedig geholt hatte.
Sie war eine geborene Millioni, die in die Familie des deutschen Kaisers eingeheiratet hatte. Leopold hatte Leo zu seinem Erben gemacht. Außer ihm selbst, Alonzo und Alexa wusste niemand, dass Leo nicht Sigismunds Enkel war. Um sich von den vermeintlichen Familienbanden zu befreien, hätte Giulietta die Wahrheit über das Kind sagen müssen. Doch das konnte oder wollte sie anscheinend nicht. Er wusste nicht, was er schlimmer fand.
Staub und Asche, tot und vorbei …
»Was hast du gesagt?«, fragte Rosalie.
Er sah so wütend aus, dass sie verstummte. Schneller zu sein als der Wind kam ihm mit einem Mal kindisch vor. Giulietta würde heiraten
müssen.
Trotz ihrer tapferen Worte blieb ihr gar nichts anderes übrig.
Ohne sich darum zu kümmern, ob Rosalie mithalten konnte, jagte Tycho zur nächsten Mauer, setzte über einen breiten Kanal hinweg und landete auf dem Dach eines niedrigen Gebäudes. Er kletterte an einem Kirchenportal empor, hastete quer über das Dach eines Lagergebäudes, umrundete Holzstapel in einem verfallenen Lager, schnellte über den nächsten Kanal, jagte über weitere Dächer …
»Soll ich dich allein lassen?«
»Ich sage dir, wann du gehst und wann du bleibst.«
Rosalie machte einen unbeholfenen Knicks. »Ja, Meister.«
»Ich bin nicht dein Meister.«
»Nein, Meister.«
»Komm her«, befahl Tycho.
Sie gehorchte, vorsichtig die Füße auf die Ziegel setzend. Ein Sturz vom Dach hätte ihr nichts ausgemacht, aber sie hatte Angst vor Tychos Zorn. Er packte sie am Kinn und blickte sie durchdringend an, suchte in ihren Augen nach dem Straßenmädchen, das ihn seinerzeit als Erste entdeckt und ihm das Leben gerettet hatte. Er hatte sie aus dem Reich des Todes zurückgeholt, wenn auch nicht
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