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Blade 02 - Nachtklinge

Blade 02 - Nachtklinge

Titel: Blade 02 - Nachtklinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Courtenay Grimwood
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vergangen.
     
    In dem Jahr, als die Fremde eintraf, wurden die Vorräte immer knapper. Der Schnee blieb mit jedem Jahr länger liegen und kehrte früher zurück, und er fiel immer reichlicher. Graf Erik und seine Krieger mussten sich daran gewöhnen, weniger zu essen zu haben. Die Sklaven hungerten.
    Die älteste Sklavin, Welker Arm, war völlig geschwächt, als ihre Wehen einsetzten. Es war eine schwere Geburt. Alle Geburten im Winter und in den Unterkünften der Sklaven waren schwer. Es gab kein Licht, und die ausgehungerten Mütter froren. Doch diese Geburt war besonders schwer; der Kopf des Kindes war zu sehen, doch es konnte nicht heraus.
    »Lass mich nachsehen. Ich kenne mich damit aus.«
    »Bitte Herrin … das gehört sich nicht.«
    Hätte jemand das Gespräch belauscht, hätte Welker Arm für ihre ehrerbietigen Worte die Peitsche bekommen. Sie waren alle nur Sklaven. Dennoch hatte sie dieser Fremden so viel Respekt gezeigt, wie noch nie zuvor einer anderen Person.
    Die Fremde war ebenfalls schwanger, aber noch nicht so kurz vor der Niederkunft wie Welker Arm. Sie achtete nicht auf ihren Protest und schob das Gewand der älteren Frau hoch. Wie befürchtet, hatte sich die Nabelschnur um den Hals des Ungeborenen gewunden. »Dein Kind ist tot«, sagte die Fremde.
    »Ich spüre, wie es tritt.«
    »Es ist so gut wie tot. Halt still.«
    Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Wehen und Krämpfe nachließen. Welker Arm schluchzte. Sie wusste, was geschehen war.
    Die Fremde verbarg das blutige Bündel unter dem Stroh, durchschnitt die Nabelschnur und wartete auf die Nachgeburt. »Jetzt bin ich an der Reihe.«
    »Wie meint Ihr das, Herrin?«
    Obwohl Graf Erik seine Frau, Mätressen und Sklavinnen beschlief, war er kinderlos geblieben. Er hatte die Fremde als seine Sklavin aufgenommen und ihre Schwangerschaft so übel genommen, dass er sie höchstpersönlich auspeitschte. Eigensinnig war sie bei ihrer Geschichte geblieben. Sie sei bereits vor ihrer Ankunft schwanger gewesen. Ihre Art brauche länger bis zur Niederkunft.
    »Damit mein Kind zu deinem werden kann, muss es sofort geboren werden.«
    »Ihr werdet sterben.«
    »Das ist mir nur recht.«
    »Und wenn Graf Erik fragt, warum ich Euch nicht davon abgehalten habe?«
    Wenn ihm der Genuss entging, das Kind der Fremden selbst zu töten, würde Graf Erik bedenkenlos Welker Arm umbringen.
    »Komm her«, befahl die Fremde.
    Urplötzlich versetzte sie Welker Arm einen so derben Schlag, dass ihr Auge blau anlief und zuschwoll. Bevor sich Welker Arm in Sicherheit bringen konnte, schlug sie auch schon ein zweites Mal zu. »Ich hatte ein Messer. Wir haben miteinander gekämpft. Ich war stärker als du.« Sie nickte zu den blutigen Fetzen unter dem Stroh hinüber. »Das war mein Baby. Dieses hier ist deines. Verstanden?« Ohne ein weiteres Wort schnitt sie sich den Bauch auf.
     
    Das war nicht seine eigene Geschichte. Und doch – wie sollte es anders sein? Tychos Erinnerungen an Bjornvin waren so lebhaft, sein Hass auf eine Frau mit welkem Arm, die ihn in dem Glauben gelassen hatte, seine Mutter zu sein, zu brennend.
    Tycho faltete das Pergament zusammen, wickelte es in ein ölgetränktes Tuch und legte es zu seinen wenigen persönlichen Besitztümern. Er kannte jedes Wort des Textes; mehr war daraus nicht zu erfahren. Wenn er herausfinden wollte, wer er in Wirklichkeit war, oder besser gesagt,
was
er war, musste er einen anderen Weg finden. Morgen, spätestens übermorgen würde er Atilos Haus endgültig verlassen und die Schriftrolle mitnehmen, als eine Art Glücksbringer. Aber erst einmal kam die Siegesfeier.

6
    I m Bankettsaal des Palazzo Ducale standen die gedeckten Tische bereit. Man feierte den Sieg der venezianischen Flotte über die der Mamelucken. Der frisch renovierte Saal roch durchdringend nach Terpentin, Ziegelstaub und Gips. Angeblich war er der größte in ganz Europa.
    Nur schade, dass er noch nicht mal fertig renoviert ist,
dachte Tycho verdrossen.
    An einer Wand standen noch Malergerüste, und einige Deckenbalken waren mit Stützen gesichert. Die bemalte Kassettendecke, die zwischen den Balken aufgehängt werden sollte, war ebenfalls noch nicht fertiggestellt.
    Die venezianischen Gäste nahmen soeben Platz.
    Genauer gesagt alle Venezianer, die wichtig für die Millioni waren. Vermutlich, dachte Tycho, waren sie der Einladung wegen des üppigen Essens gefolgt, oder um die spärlich bekleideten Jongleure und Akrobaten zu bewundern. Oder sie waren hier, weil

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