Blade 02 - Nachtklinge
und brachte den Jungen mit einem verdeckten Tritt zu Fall. Es ging so schnell, dass jeder glauben musste, der Schlag habe den Jungen zu Boden gestreckt.
»Jetzt sieh dich um«, zischte Tycho.
Dann zerrte er den unglücklichen Pietro auf die Füße, holte ein zweites Mal aus, ließ aber von ihm ab und stieß ihn achselzuckend weg. Nur ein Patrizier mit seinem nichtsnutzigen Pagen, dachten die Leute und eilten achtlos weiter.
»Hast du jemanden erkannt?«
»Nur Iacopo«, erwiderte Pietro bekümmert.
»Bist du sicher, dass Graf Atilo dir nicht verboten hat, mich zu besuchen?«
»Er sagt, es schere ihn nicht, was ich an meinem freien Tag mache. Ich soll nur meine Zeit nicht verschwenden.«
Typisch Atilo. »Wem folgt Iacopo dann?«
Pietro brauchte nicht lange nachzudenken. »Euch?«
In Atilos Haushalt hatte Iacopo eine höhere Stellung innegehabt. Als Tycho so rasch aufgestiegen war, hatte der Junge ihn beneidet. Vermutlich würde Iacopo ihm sein Leben lang grollen. Im Moment hatte Tycho jedoch andere Sorgen.
»Herr, geht es Euch nicht gut?«, flüsterte Pietro. »Ihr zittert ja.«
Tycho warf ihm einen Blick zu.
»Ich bin nervös.«
Pietro machte große Augen.
An Giuliettas Haustür gab Tycho den Jungen in die Obhut eines Dieners und ordnete an, ihm etwas zu essen zu geben. Dann ließ er sich bei Giulietta melden.
»Bitte wartet in der Halle, Herr. Ich schicke jemanden zu ihr.«
»Ich warte hier draußen.«
»Aber ich bitte Euch …«
»Los, geht schon und fragt sie. Es geht um Leo.«
»Du hast neue Wachposten«, stellte Tycho fest.
»Natürlich.«
Wie hatte er das vergessen können. Er war schließlich selbst dabei gewesen, als die beiden anderen ums Leben gekommen waren.
Giulietta wirkte so nervös, wie er sich fühlte. Sie empfing ihn in schwarzer Trauerkleidung im
piano nobile
und saß stocksteif auf Leopolds Lieblingsstuhl. Er war aus Walnussholz, hatte eine hohe Lehne und geschwungene Armlehnen.
Eine Taubenpastete lag unberührt vor ihr auf einem Silberteller mit einer Silbergabel daneben. Ein Glas schimmerte im Schein der weißen Kerzen. Leopold war zwar als unehelicher Sohn geboren, hatte als Abkömmling eines Kaisers jedoch einen standesgemäßen Haushalt geführt, der nun auf Giulietta übergegangen war.
Tycho überlegte kurz, wie alt sie inzwischen sein mochte.
Bei ihrer ersten Begegnung in San Marco war sie fünfzehn Jahre alt gewesen. Im Kerzenlicht, inmitten ihres Reichtums, wirkte sie zugleich älter und jünger. Sie forderte ihn nicht auf, Platz zu nehmen, und bot ihm nichts an.
»Wo ist Leo?«
»Er schläft«, antwortete sie. »Warum?«
»Ich dachte nur …«
Tycho fiel unwillkürlich sein erster Besuch in der Ca’ Friedland ein. Die Erinnerung daran war so gestochen scharf, als sei alles erst gestern passiert.
Du bist genau wie Leopold,
hatte Giulietta damals gesagt.
Sie hatte ihn angesehen, das Kind an der Brust.
Eine Bestie in einem Menschen, die mit einem Menschen in einer Bestie kämpfte.
»Du täuschst dich«, hatte Tycho sie gewarnt. »Ich bin ganz und gar nicht wie Leopold.«
Dann hatte er ihre Haare gepackt, ihre Kehle entblößt und sie beinahe getötet.
Seitdem glich sein Verlangen nach ihr einer Sucht, die immer stärker wurde. In der Basilika San Marco hatte sie halb nackt vor der sanft lächelnden Madonna gekniet und sich ein Messer an die Brust gesetzt. Hatte er sich getäuscht?
Tycho grub die Nägel schmerzhaft in seine Handflächen.
Natürlich hatte er sich getäuscht.
Aber damals hatte er noch nichts von der Bestie geahnt, die hinter seinen Rippen lauerte und die sich in der Schlacht gegen die Mamelucken gewaltsam befreien würde, um Giuliettas Leben zu retten.
Obwohl sie ihm ihr Leben verdankte, hatte sie jetzt nur Kälte für ihn übrig. War er wirklich nichts weiter für sie als ein Dämon mit gehörnten Feinden, die sie sich nach seinen Erzählungen von Bjornvin wahrscheinlich ausmalte?
»Warum bist du gekommen?«
Etwas Ähnliches hatte er selbst den Regenten gefragt. Tycho fand Alonzos Vorschlag, er solle Giulietta einen Heiratsantrag machen, nach wie vor sonderbar und fragte sich, wer hier wen ausnutzte. Er warf einen Blick auf Giuliettas unwirsches Gesicht und vergaß prompt jedes Wort seiner vorbereiteten Rede.
»Nun?«, fragte sie ungeduldig.
»Leo braucht einen Vater.«
Ungeschickter hätte er nicht beginnen können.
»Du bist hier, um mir zu sagen, dass ich Frederick heiraten soll? Der Rat der Zehn bedrängt mich deswegen seit
Weitere Kostenlose Bücher