Blade 02 - Nachtklinge
sich für Eure Gastfreundschaft, insbesondere was Prinzessin Giulietta und Gräfin Desdaio betrifft. Er weiß …«
»Desdaio Bribanzo befindet sich tatsächlich in seiner Gesellschaft?«
Tycho nickte.
Der Abt presste die Lippen aufeinander. »Den beiden werden getrennte Zimmer zugewiesen.«
»Selbstverständlich. Etwas anderes würde Gräfin Desdaio auch nicht wünschen«, erklärte Giulietta von oben herab. »In jedem Fall würde Graf Atilo nichts anderes dulden.«
Daraufhin zog der Abt es vor, eine neutrale Miene aufzusetzen.
2
D ie Weißkreuzler hatten ihr Leben der Armut und der Keuschheit geweiht und beschützten Pilger, die auf dem Weg nach Jerusalem waren. Sie mieden weibliche Gesellschaft, denn Frauen waren mit Sünde befleckt. Viele Jahre waren vergangen, seit ein weibliches Wesen zum letzten Mal den Fuß auf die Insel gesetzt hatte. Und so beteten die fünfhundert jungen Mönche angestrengt, verrichteten ihre Gartenarbeit und übten sich an den Waffen – und ignorierten die Prinzessin so gut es ging.
Giulietta saß grübelnd in ihrem Zimmer und drehte Prinz Leopolds Ring an ihrem Finger, bis er ganz rot war. Wie gern hätte sie es den Mönchen gleichgetan und sich eingeredet, sie würde nicht existieren. Wie konnte sie anderer Meinung sein als die Weißkreuzler?
Sie wusste nicht, was sie mehr anwiderte: War es das, was auf der
San Marco
zwischen ihr und Tycho geschehen war? Oder eher der Umstand, dass sie so rasch nach Leopolds Tod zu ihm gegangen war? Sie liebte ihren Gatten. Leopold war ein guter Mann.
Er war ein guter Mann
gewesen.
Leopold zum Bas Friedland hatte sie gerettet. Aus tiefster Verzweiflung, voller Angst, erneut in Gefangenschaft zu geraten, und bereits schwanger – damals, als sie sich zum ersten Mal auf dem Kai begegnet waren, nachdem man sie aus dem Palast des Patriarchen gewiesen hatte. Seine Freundlichkeit hatte sie zu Tränen gerührt.
Freundlichkeit war das Letzte gewesen, was sie von einem Mann erwartet hatte.
Zwischen ihnen war eine sonderbare Liebe entstanden. Er war ihr ein treuer Freund gewesen und hatte sie geheiratet, ohne je das Bett mit ihr zu teilen. Er hatte ihren Sohn zu seinem Erben gemacht und war gestorben, um ihr Leben zu retten. Tränen stiegen ihr in die Augen.
Bei Leopold hatte sie sich sicher gefühlt.
Und Tycho …?
Giulietta schluckte.
Tycho war schuld daran, dass sie sich so elend fühlte.
An Deck der
San Marco
hatte er ihre Traurigkeit ausgenutzt und ihr anschließend entsetzliche Lügen aufgetischt. Er hatte alles verraten, was sich damals, bei ihrer ersten Begegnung in der Kathedrale, abgespielt hatte, als er ihr die Klinge aus der Hand genommen hatte … Wäre er doch niemals eingeschritten. Dann wäre sie tot und hätte weder Leopold kennengelernt noch Leo zur Welt gebracht, ganz zu schweigen davon, dass Tycho ihren Weg gekreuzt hätte.
Sie hasste ihn dafür.
Sie wiederholte es noch einmal stumm.
Tycho war ein Niemand, ein ehemaliger Sklave mit dem Gesicht eines Engels, der das helle Licht Gottes fürchtete, als sei er ein Geschöpf der Hölle. Sie starrte über die Lagune nach Venedig und fasste einen Entschluss. Die Gefühle, die Tycho in ihr auslöste, waren bedeutungslos. Sie verbat es sich streng, Worte für diese Gefühle zu finden. Ab jetzt würde sie ihn ignorieren. Sie würde sich so verhalten, wie man es von einer Prinzessin der Millioni erwartete, die obendrein Leopolds Witwe war.
Sie trug Verantwortung, nicht zuletzt für ihr Kind und ihren guten Ruf. Wie konnte er nur glauben, in ihrem Leben sei Platz für ihn?
Fürsten herrschten nach den Regeln Gottes, so hatte man es Prinzessin Giulietta gelehrt. In ihren Reichen war ihr Wort Gesetz, im wahrsten Sinne des Wortes. In einigen Ritterschaftsorden galt hingegen das Wort des Abtes als oberstes Gesetz. Giulietta hätte sich denken können, dass der Abt der Weißkreuzler nach einer Gelegenheit suchte, ihr, der Prinzessin, die er nur widerstrebend aufgenommen hatte, seine Macht zu demonstrieren.
»Muss ich wirklich an diesem Festessen teilnehmen?«
Graf Atilo lächelte. »Selbstverständlich Prinzessin. Ihr wollt doch nicht etwa unhöflich erscheinen.«
»Um Gottes willen, nein …«
Im Refektorium des Klosters hatte man Tische gedeckt.
Der Abt nahm in der Mitte Platz, Giulietta rechts neben ihm. Der kleine Leo lag in einem Körbchen zu ihren Füßen. Links neben dem Abt saßen Graf Atilo, Desdaio und schließlich Tycho.
Der Stellvertreter des Abtes, der Prior,
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