Blätter treiben im Wind (German Edition)
versuchte, in sein Leben zu treten? Oder Freude, über die schöne und interessante Vorstellung einer ihm völlig Unbekannten, die einen Liebesbrief gelesen hatte, den er damals für seine Debbi geschrieben hatte. Ein Liebesbrief, der nur kurz bei einem Internet-Buchhändler aufgetaucht war, und den er schnell wieder entfernt hatte.
Er wollte den Brief wieder in das Kuvert stecken als ein unscheinbar kleines Foto herausfiel. Er hob es vom Boden auf. Was er sah, traf ihn wie ein Blitz.
Kapitel 8
»Bitte noch eine Coke, Gayle«, sagte Shawn zu der Bedienung hinter dem Tresen.
Tom genoss eine Ben & Jerry Eiscreme. Die berühmteste weit und breit.
»Und sie hat dir tatsächlich einen Brief geschrieben? Ich werd‘ verrückt. Ich dachte die spinnt, als sie mich nach deiner Adresse fragte.«
»Und du warst so großzügig, Shawn, meine Adresse einer Wildfremden zu geben. Sonst geht’s dir gut, ja?«, zog Tom es ins Lächerliche.
»War es denn schlecht?«
»Kann ich jetzt noch nicht beurteilen, aber es sieht nicht danach aus.«
»Na, also, was willst du denn mehr«, fühlte sich Shawn von seiner Entscheidung bestätigt.
Shawn Lambert war so ein Landei , wie Cooper heute Vormittag die Bewohner beschimpft hatte. Er half seinem Vater beim Bewirtschaften von dessen Farm. Shawn rasierte sich nur einmal die Woche. Es gehört sich so, als Junge vom Land, sagte er immer. Seine Haare waren jetzt kurz, zuvor hatte er sie bis zur Schulter wachsen lassen, doch die Arbeit erforderte einen anderen Haarschnitt. Der standesgemäße Kleidungsstil für einen Farmer machte auch vor ihm nicht halt. Ein Baumwollhemd, zumeist mit aufgedruckten Karos, und einer Jeanslatzhose rundeten seinen gemächlichen Eindruck ab. Er war Shawn, behauptete er auch immer wieder, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Shawn Lambert hatte eine reine Seele. Das Thema mit den Frauen berührte ihn nicht so sehr, aber er hörte gern zu. Seine freie Zeit, die ihm die Landwirtschaft ließ, füllte er mit Lesen von Liebesromanen aus. Er kannte sie alle! Vom Winde verweht, Die Dornenvögel und den Pferdeflüsterer . So konnte er mit Gefühlen gut umgehen. Tom hatte mit Shawn eine Freundschaft geschlossen, nachdem er mit ihm die Veranda gezimmert hatte und kein Geld dafür nehmen wollte. Bist du verrückt, mich dafür zu bezahlen, sagte er. Tom merkte, dass auf dem Land andere Sitten herrschten als in der City. In Washington, D.C. hätte ohne einen Vorschuss, von mindestens sechzig Prozent, niemand den Hammer in die Hand genommen.
Tom musste seinem Freund zustimmen, dass er bisher keinen Schaden aus diesem Brief gezogen hatte.
»Sie hat dir hoffentlich auch ein Foto mitgeschickt«, sagte Shawn in freudiger Erwartung.
Tom schwieg kurze Zeit.
»Etwa nicht?«
»Doch hat sie!«
»Nach deiner Reaktion zu urteilen, ist sie nicht hübsch. Eher wohl hässlich.« Shawn zog seine Brauen zusammen.
»Nein, eben nicht. Sie ist außergewöhnlich.«
»Auf was wartest du, zeig mir das Foto. «
Tom löffelte erst sein Eis zu Ende. Diese Abkühlung hatte er bei dem Gedanken an Donna nötig. Was war das nur für eine Frau? Er zog das Bild aus seiner Manteltasche und zeigte es Shawn. Nur Shawn.
Der immer gut besuchte Drugstore in Mackville war der all abendliche Anlaufpunkt für alle Männer im Städtchen. Einzelne körperlich starke Frauen mischten sich auch mit darunter. Ansonsten pflegte das andere Geschlecht lieber Abende mit seinesgleichen.
»Das ist Sie?«, fragte Shawn misstrauisch. »Du lügst doch. Wo hast du das Bild her?«
»Ich lüg‘ dich nicht an, Shawn. Das ist diese Donna«, sagte Tom mit hängendem Kopf.
Sie war einfach zu außergewöhnlich. Sie war das, was Tom unter einer Frau verstand, die ihm auch jetzt noch den Kopf verdrehen konnte, nach allem was geschehen war. Aber nur das Aussehen alleine reichte nicht. Was wird sie denken und wie wird sie fühlen? Würde er das je erfahren? Das war entscheidend.
»Du musst ihr sofort schreiben, Tom. Warte keine Sekunde damit. Die sieht besser aus, als alle Mädchen bei uns im Dorf, auch wenn du diese vom besten Friseur stylen und vom teuersten Designer einkleiden lässt.« Shawn hatte aus seinen Romanen gelernt.
»Das ist nicht schwer, Shawn. Aber mein Herz blutet noch immer. Ich will mich nicht auf eine weitere Begegnung mit dem weiblichen Geschlecht einlassen. Warum denkst du, dass ich hier zu euch in die Wildnis gezogen bin? Dass ich einfach abschalten kann. Von den Frauen und der Arbeit.«
»Ich
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