Blanche - Die Versuchung
Spiegelglas durch seinen Hals.
Den überraschten Ausdruck würde sie wohl nie vergessen, als sein Kopf vom Körper fiel und zu den Kabinen kullerte.
„Do svidaniya, Idiotowitsch!“, sagte sie heiser, zog das Weihwasser aus der Innentasche ihres Ledermantels und träufelte es über Rumpf und Kopf. Der Gestank von Bitumen und Weihrauch kitzelte ihre Nase, einen Moment später verschrumpelte Zoeys Körper zu einer blubbernden Pfütze.
Blanche wickelte ihre Hände in Papierhandtücher, als sich die Tür öffnete.
Der Muskelprotz, der sie im Bahnhof überwältigt hatte, betrat mit erhob e nen Händen den Waschraum. Seine Stirn glänzte und er sah aus , als würde er liebend gern jemandem den Hals umdrehen. Vorzugsweise ihr. Ihm folgte der zweite Posten, ebenfalls mit erhobenen Händen. Was zum Henker sollte das werden? Hatten die Beiden eine Überdos i s „Glow“ von Madcon? Die Antwort erschien in Form eines dritten Mannes, der hinter Zoeys Schlägern eintrat und kopfschüttelnd die Tür schloss.
„Mädchen, dich kann man wirklich keine Minute allein lassen.“
Während sich der Muskelprotz bei Zoeys Anblick lauthals in eines der Pi s soirs übergab, drückte Leo ihr eine Beretta Inox in die Hand. Fragend hielt er die Supermarkttüte in die Höhe.
„Einen Moment“, murmelte sie, griff dem Muskelprotz ins Haar und zog sein Gesicht zu sich heran. „Das da drüben war mal ein guter Freund von deinem Boss“, flüsterte sie und deutete mit dem Kinn zu der stinkenden Lache. „Wenn du ihn das nächste Mal siehst, richtest du Sergej einen sch ö nen Gruß von mir aus. Falls er mir, Nella oder Enzo noch einmal zu nahe kommt, endet er wie der gute Zoey hier. Hast du das verstanden , priyatel’?“
Er nickte und würgte abermals.
„Schön.“ Sie ließ ihn los und nahm die Tüte an sich. Während sich der Posten Nummer z wei ebenfalls die Seele aus dem Leib kotzte, ve r senkte sie die Waffen in den Holstern und verlie ß die Toilette, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Zoey war Geschichte. Waynes Tod gerächt.
Warum fühlte sie sich nicht besser?
Mit dieser Frage im Kopf schlug sie den Weg Richtung Schließfächer ein. „Was hast du hier zu suchen?“, fragte sie Leo, der stumm an ihrer Seite ging.
Er rieb sich das stoppelige Kinn . „Hab ein paar Sachen für dich im Koffe r raum und keine Lieferadresse.“
Stimmt, das Ritz war ja hinüber. „Und wie hast du mich gefunden?“ Bla n che blieb stehen und seufzte. „Weißt du was, ich will es gar nicht wissen. Was hast du für mich?“
Plötzlich erhellten sich die zerfurchten Züge und ließen ihn ein Jahrzehnt jünger aussehen. „Ich habe dir ein paar Magazine FAPDS-Munition b e sorgt.“ Er zwinkerte ihr zu . „Mit Spezialfüllung.“
FAPDS stand für Frangible Armour Piercing Discarding Sabot, was übe r setzt zerbrechliche, panzerbrechende Treibkäfigmunition bedeutete. Im Klartext hieß das, dass dieser alte Gauner es irgendwie geschafft hatte, Pr o jektile, die normalerweise für Geschützrohre gemacht waren , um Kampfhu b schra u ber und Cruise Missile abzuschießen, für eine 9 mm Handfeuerwaffe zu ko n struieren. Ach ja, und sie waren mit Weihwasser gefüllt.
„Nicht schlecht“, sagte sie und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
„Meine ich auch.“ Leos Grinsen wurde breiter. „Wohin soll ich mit dem Zeug?“
Gute Frage. Sie hatte weder eine Bleibe noch einen Plan, wohin sie gehen würde. „Schick das Paket mit einem Schleifchen an Nella. Schönen Gruß von der Avon - Beraterin, sie soll es für mich aufbewahren.“
Leo nickte.
„Sonst noch was?“
„Mädchen, du sieht mitgenommen aus“, sagte er und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
Das Mitgefühl in seiner Stimme überraschte sie. Leo war nicht der rührs e lige Typ.
„Erzähl mir etwas, das ich noch nicht weiß.“ Sie hatte nicht vor , ihn so a b zuservieren, doch sie wollte sein Mitleid nicht. Sie sah nicht nur wie etwas aus, das schon mal gegessen worden war, sie fühlte sich auch so. In jedem Fall befand sie sich am Limit. Einen Schritt weiter und sie würde zusa m menbrechen.
Leo nickte wissend und zog seine Hand zurück. „Pass auf dich auf , Mä d chen“, war alles , was er sagte, bevor er sich abwandte und im Gewühl des Bahnhofs verschwand.
Wenn man erst mal wusste , wer er war, konnte man den Wächter unter den Erzengeln nicht mehr für einen Clochard halten, obschon genau das zu se i ner Tarnung gehörte.
Miceal erwartete sie, eine Ausgabe von
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