Blanche - Die Versuchung
aufgewachsen. Aber was wusste sie schon. Bis vor Kurzem hatte sie die G e fühle, die sie für Beliar empfand , vehement verleugnet, weil sie diese für eine Blöße hielt. Etwas, das sie in Gefahr bringen würde, weil sie allmählich weich wu r de. In der Welt , in der sie lebte , verziehen Gegner keine Schwäche. Und Enzos Sohn schwamm im gleichen Haifischbecken, umgeben von Mördern, Wa f fenschiebern, Erpressern und Zuhältern. Vielleicht glaubte sein Vater , das alles von i h m fernhalten zu können, aber Kinder waren nicht dumm. Die gute Nachricht war, dass Enzo sich mehr und mehr aus dem Tagesgeschäft zurückzog und sich zunehmend der Politik zuwandte. Möglicherweise wollte er seinem Jungen eine andere Zukunft bieten als das dreckige Geschäft se i ner Vorfahren.
Wie auch immer Enzos Pläne lauteten, die Gewalt würde niemals enden. Paris war eine Skorpiongrube und er ließ seinen Sohn nicht umsonst rund um die Uhr von Bodyguards bewachen. Der Kleine durfte nicht mal eine Schule besuchen, sondern wurde hier, von Chevalier, einem emeritierten Professor der Sorbonne unterrichtet, weil das Leben seines Sohns ständig in Gefahr schwebte.
Apropos. „Warum hast du mich da draußen aufgefangen?“ Ohne ihre Hi l fe wäre sie vermutlich wie ein Stein vom Turm gefallen. Und das, obwohl sie bei ihrer letzte n Begegnung keinen Hehl daraus gemacht hatte, wie sehr sie sich freute, ihre liebe Freundin wiederzusehen. Niemand hätte ihr einen Vorwurf machen können, wenn ihr die Peitsche versehentlich aus der Hand gerutscht wäre. Bei all dem Regen und so. Was sie zu ihrer nächsten Frage brachte. „Wie bist du überhaupt in den Helikopter gekommen?“
Camille grinste und entblößte den schief stehenden Zahn. „Dein Enzo fand unsere Herberge nicht mehr sicher. Er hat uns hierher gebracht, auch, weil er die Männer brauchte, die bei uns waren und Babysitter gespielt h a ben.“ Sie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Als sie uns hier abgeladen haben, ist dein Schweizer Sahneschnittchen a n gekommen und wollte den Heli, um zu deiner Rettung zu eilen. Ich hab denen gesagt, dass ich helfen kann. Dass ich weiß , gegen wen – oder was – du kämpfst. Dein Marcel wollte nicht, aber dieser Ramirez war dafür , mich mitzunehmen.“
Das war ja alles schön und gut, aber Cam hasste sie. Blanche hätte erwa r tet, dass sie die Gelegenheit nutzen würde , sich ihrer zu entledigen. „Das erklärt nicht, warum du mir da oben geholfen hast.“
Camille nahm die Füße vom Tisch und beugte sich vor. „So leid es mir tut, aber ich brauche dich.“
Jetzt kamen sie der Sache schon näher. Blanche stand mit dem Rücken zum K a min und sah sie schweigend an. Wenn sie etwas von ihr wollte, sollte sie damit rausrücken, diese Show ging ihr allmählich auf die Nerven. Camille sah aus, als würde sie ihr am liebsten die Kehle herausreißen. Dabei hatte sich ihre Situation schlagartig verbessert , nachdem Blanche aus dem Heim a b gehauen war. Ihr Fehlen blieb nicht unbemerkt, und hatte eine gründliche Untersuchung nach sich gezogen. Nachdem die haarsträubenden Zustände dort ans Licht kamen, wurde das Waisenhaus geschlossen und die Kinder nach Chartres umgesiedelt, wo sie sich frei von Bosheit entw i ckeln konnten. Also, was um alles in der Welt hatte sie getan, um diese Mordlust zu verdi e nen?
„Ich habe jemanden verloren“, presste Cam durch zusammengebissene Zähne.
Stell dich hinten an, dachte Blanche. Laut sagte sie jedoch: „Faszinierend“, und unterdrückte ein Gähnen. „Und das erzählst du mir, weil … ? “
„Du ihn ebenfalls finden willst.“ Langsam erhob sich Camille und trat auf sie zu.
Im Schein des Feuers wirkten ihre Züge buchstäblich verzerrt. Bitter k eit und Wut entstellten das hübsche Gesicht, und da war noch etwas, das Bla n che nicht zuordnen konnte. „Sorry, aber mein Terminkalender ist für diesen Monat schon voll. Für das restliche Jahr , um genau zu sein.“
„Dann hast du kein Interesse , unseren gemeinsamen Freund zurückz u bringen?“
Wenn sie so weitermachte, würde Blanche sie aus Langeweile erschießen. Dieses Gespräch führte zu nichts, und ihr war der Gedanke zuwider , zum Claqueur degradiert zu werden, dessen Aufgabe es war , an den richtigen Stellen Ahhs und Ohhs auszurufen. Sollte sie ihre Nummer woanders abzi e hen, sie war hier fertig. „Hinterlass seinen Namen bei Enzo, ich werde s e hen, was ich …“
„Willst du nicht wissen , wen ich
Weitere Kostenlose Bücher