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Blankes Entsetzen

Blankes Entsetzen

Titel: Blankes Entsetzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Norman
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Sandra.« Tony stand hinter der Frau. In einer Hand hielt er ein Blatt Papier, und sein Gesicht war bleich. Er stand nur da, tat nichts, stand einfach nur da und sah zu, wie man ihm seine Tochter wegnahm.
    »Sie müssen Irina mitnehmen«, sagte Dean und berührte vorsichtig Sandras Arm.
    »Nein!« Sandra rannte nach vorne, mit ausgestreckten Armen und gespreizten Fingern, und versuchte, nach Irina zu greifen, doch die orangehaarige Frau wich zur Seite aus, und Sandras Hände erwischten nur den Ärmel ihres Mantels. »Geben Sie sie mir!«
    »Sie können nichts tun, Sandra.« Deans Augen wurden feucht.
    »Geben Sie mir das Mädchen!«, schrie Sandra.
    Sie sah, wie Irina sie aus riesigen, angsterfüllten Augen anstarrte, doch in diesem kurzen Augenblick weinte sie nicht, riss nur den Mund auf vor Angst und Unverständnis. Dann drehte sich die Frau um, die sie auf dem Arm hielt, und ging aus der Tür. Irina begann wieder zu weinen.
    »Nein!«, schrie Sandra ihr nach, krallte beide Hände ins Haar und zerrte in verzweifelter Hilflosigkeit daran. »Das dürfen sie nicht! Sag ihnen, sie dürfen das nicht!«
    »Sie dürfen«, sagte Tony leise.
    Die anderen Fremden folgten ihrer Kollegin. Ihre Gesichter waren völlig ausdruckslos, ohne die geringste Gefühlsregung, weder für das schreiende Kind noch für die verstörte alte Frau, 342
    die bereits ihre Tochter verloren hatte und in diesem Augenblick auch noch ihre Enkelin verlor.
    Sandra starrte ihnen hinterher. Dann richtete sie den Blick auf diejenigen, die geblieben waren. Keenan, dessen dünnes Gesicht todunglücklich aussah, und Karen Dean, die mit
    zusammengepressten Lippen versuchte, ihrem Blick
    auszuweichen.
    Und Tony, der immer noch dastand wie ein Holzklotz.
    »Du Mistkerl!« Sie warf sich auf ihn, schlug mit den Fäusten auf ihn ein und weinte laut, während sie ihn schlug – und er blieb weiter reglos stehen. Er sah sie nicht einmal an, starrte nur an ihr vorbei in die Ferne. »Du mieser, egoistischer Mistkerl!«
    »Mrs Finch«, sagte Keenan sanft. »Wollen wir nicht …«
    »Wie konntest du zulassen, dass sie Irina mitnehmen?« Sandra kratzte ihren Schwiegersohn mit den Fingernägeln der rechten Hand an der Wange, und ein wenig Blut quoll hervor. »Wie konntest du das tun?«
    »Ich habe nichts getan«, sagte Tony schließlich, immer noch, ohne sich zu rühren. »So ist das Gesetz«, sagte er leise. »Wir wussten, dass es so kommt.«
    Karen Dean stellte sich hinter Sandra und legte der älteren Frau die Hände auf die Arme, um sie zurückzuhalten, aber das war nicht mehr nötig. Alle Kraft, jeder Kampfgeist waren aus Sandra gewichen. Ihre Arme fielen schlaff zur Seite und hingen leblos herunter.
    Tony, der nach seinem Geständnis am Samstag verhaftet und auf Kaution freigelassen worden war, blickte nicht länger an Sandra vorbei in die Ferne.
    Er sah Keenan an …
    … der jetzt vortrat, um mit Tony zu sprechen.
    »Anthony Patston, ich bin …«
    Sandra vernahm zwar die tiefe, gleichmäßige Stimme des 343

    Inspectors, aber falls sie die Worte hörte, die er sprach, während das bleiche, blutende Gesicht ihres Schwiegersohns noch weißer und kränker wurde, war sie unfähig, den Sinn dieser Worte zu erfassen.
    Sie hörte nur noch die Schreie Irinas, als das Mädchen davongetragen wurde.

    344
    77.
    izzies Promotion-Tour begann Donnerstag um fünf Uhr L früh, als Susan sie mit verschlafenen Augen in Marlow abholte und zu ihrem ersten Radiointerview nach Oxford fuhr.
    Anschließend gab sie eine Autogrammstunde in der
    Waterstones-Buchhandlung, gefolgt von einem Mittagessen mit Journalisten der Oxford Mail. Dann ging es weiter nach Cheltenham zum Gloucestershire Echo. Nach zwei weiteren Autogrammstunden fuhren sie nach Bristol zu einem Umtrunk bei der Western Daily Press und einem Abendessen mit den Redakteuren der Evening Post im Marriott, wo sie auch übernachten würden, um am nächsten Morgen für einen Auftritt im Frühstücksfernsehen wieder sehr früh aufzustehen.
    Es war am Freitagabend, kurz nach halb sieben, als Lizzie müde das Savoy betrat und die Treppe zur American Bar hinaufstieg, wo Robin Allbeury sie an einem Ecktisch erwartete.
    »Sie sehen erschöpft aus.« Er küsste sie auf die Wange; dann zog er ihr einen Stuhl heran und setzte sich wieder, nachdem Lizzie Platz genommen hatte. »Entzückend, aber erschöpft. Und womöglich hungrig?«
    »Hungrig, ja«, sagte Lizzie. »Entzückend ganz bestimmt nicht.«
    »Sie werden mir verzeihen, wenn ich

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