Blankes Entsetzen
können.«
»Das Richtige?«, wiederholte Tony ungläubig. Er ließ den Blick vom einen zum anderen wandern und wusste – mit einem eisigen Gefühl im Magen –, dass er keine andere Wahl hatte.
335
»Okay«, sagte er und holte tief Luft. »Ich erzähle Ihnen jetzt etwas, das ich sehr lange und unbedingt geheim halten wollte.«
Er musste sich unterbrechen, sich mit dem Handrücken über die Augen reiben, weil ihn plötzlich wieder das Bedürfnis zu weinen überkam, aber er hatte jetzt keine Zeit, wie ein Baby zu plärren, er musste es ihnen sagen, musste es rauslassen, bevor alles noch mehr außer Kontrolle geriet.
»Ist schon gut«, sagte Keenan. »Lassen Sie sich ruhig Zeit, Tony.«
Tony ließ die Hand zurück aufs Knie fallen. »Nein«, sagte er.
»Ist es nicht. Es hat nichts mit Jo zu tun. Es ist etwas anderes.«
Endlich reagierte Richard Slattery. »Mr Patston«, sagte er.
»Ich glaube, eine Pause …«
»Nein«, fiel Tony ihm ins Wort. »Keine Pause. Jetzt wird nicht mehr um den heißen Brei geredet.« Er schwitzte wieder, und er zitterte.
»Ich muss Ihnen wirklich raten …«
»Nein.« Tony setzte sich aufrecht hin. »Sie müssen mir zuhören.« Er konzentrierte sich auf Keenan. »Denn sobald ich es Ihnen erzählt habe, werden Sie verstehen, warum ich so durcheinander bin. Gott weiß, es war schwer genug, Joanne zu verlieren, aber jetzt habe ich Angst, auch noch Irina zu verlieren
… Todesangst.«
»Warum sollten Sie Irina verlieren?«, fragte Keenan.
»Weil Sie das Mädchen geschlagen haben?«
»Nein.« Tony schrie beinahe. »Damit hat es nichts zu tun …
ich habe sie nicht geschlagen, das schwöre ich.«
Er blickte in das schmale, aufmerksame Gesicht des Polizisten und holte noch einmal ganz tief Luft. »Ich habe Angst, Irina zu verlieren«, sagte er, »wegen der Art und Weise, wie wir sie adoptiert haben.«
Keenan überflog im Geiste die Fakten, die Pat Hughes ihm in 336
Bezug auf Irinas Adoption geliefert hatte, dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Mann ihm gegenüber.
»Wir haben sie gekauft « , sagte Tony. »Wir konnten auf anderem Weg kein Baby bekommen, und Jo wünschte sich mehr als alles andere, Mutter zu sein.« Jetzt musste er doch weinen.
»Ich habe es für Joanne getan, weil ich sie so sehr liebte … ich hätte alles für sie getan, olles. Ich hätte ihr niemals wehtun können, egal was Sie denken. Niemals.« Er schüttelte den Kopf, und seine Stimme wurde ganz leise. »Niemals.«
337
75.
m Samstagabend, zu Hause in seinem Wohnzimmer im
A Shad Tower, lehnte Robin Allbeury sich bequem in seiner maßgefertigten Lederliege zurück, zappte durch die Kanäle des Satellitenfernsehens und fand den Essen-und-Trinken-Kanal und die Sendung, von der er bereits wusste, dass sie um diese Zeit lief.
Da stand sie in ihrer Studioküche und sah sehr einnehmend aus mit ihrer weißen Baumwollbluse, der wie angegossen sitzenden Jeans und einer blauweiß gestreiften Schürze. Neben ihr arbeitete ein Mann, der einen albernen Kittel trug. Ihr Haar sah ein wenig anders aus, länger und vielleicht einen Hauch blonder, aber das mochte auch am grellen Licht liegen. Ein bisschen jünger um die Augen herum – ein weiterer Hinweis, dass dies die Wiederholung einer Sendung war, die vor mindestens zwei, vielleicht drei Jahren aufgezeichnet worden war.
Sie lachte über irgendetwas, das der Mann sagte.
Ihr Lachen macht sie wunderschön, dachte Allbeury. Solange es andauerte, verlieh es ihr eine heitere, unbekümmerte Ausstrahlung, bevor es verschwand und ihr anderes Gesicht zurückließ: Jenes Gesicht, das aller Welt verkündete, alles sei in schönster Ordnung und dass es Lizzie Piper Wade bestens ging und sie imstande war, sich allem zu stellen, was das Schicksal für sie bereithielt, auch wenn einiges davon schwer zu verdauen war. Das Gesicht, das er jetzt auf dem Bildschirm sah, war dasselbe, das Lizzie letzte Woche beim Abendessen der Wades getragen hatte.
Das Gesicht, das ihn so bezaubert hatte.
Ihn immer noch bezauberte.
Allbeury drückte die Stumm-Taste seiner Fernbedienung, 338
schaute auf die Uhr und fragte sich, ob die Wades dieses Wochenende in Marlow oder in Holland Park waren. Finde es heraus . Er hatte eigentlich ein bisschen länger warten wollen, bis er sie wieder anrief, zumindest ein paar Tage – und in der Regel war er ein geduldiger Mensch.
Doch es gab Ausnahmen.
Lizzie war eine davon.
Er legte die Fernbedienung hin, nahm sein elektronisches
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