Blanks Zufall: Roman
nichts, nicht wahr, Anna? Du willst deine Dosis, und wehe, du bekommst sie nicht. Und ich will meine Dosis. Anna tritt von einem Bein auf das andere, obwohl es nicht mehr kalt ist, jetzt Ende Mai. Sie kann es kaum erwarten.
Marcus lauscht seinem Atem, mit jedem Zug atmet er auch den Grasgeruch ein, wovon ihm in letzter Zeit immer schlecht wird. Oben, in Karstens Wohnung, war ihm das nicht aufgefallen, gerauchtes Gras riecht anders, wirkt anders auf sein Befinden, aber die unverarbeitete Substanz riecht wie ein verfaulter Wald. Marcus' Magen scheint das noch einzig funktionierende Organ seines Körpers zu sein, das ihn davor bewahren könnte zu kiffen. Alle anderen Organe, besonders sein Gehirn, sind längst schon assimiliert. Angepasst an einen realitätsfernen Zustand, der als wahr empfunden wird, ein Effekt ohne Magie.
Anna schnippt ihre Zigarette auf die beleuchtete Straße, sieht einem vorbei fahrenden Wagen hinterher, dann schaut sie in das Innere des Hauses, zu Marcus im Dunkeln. Ihr blasses Gesicht umrahmt sie mit beiden Händen, die sie an das Glas presst. Als sich ihre Augen weiten, als wenn sie Wachheit vortäuschen wollen, weiß er, sie hat ihn entdeckt.
„Blank?!“ fragt sie, was dumpf klingt, und klopft gegen die Scheibe, „Was machst du da, Blank?“
Marcus bleibt nichts anderes, als zu ihr hinaus zu gehen, sie nicht warten zu lassen. Das mag sie gar nicht, warten. Er geht die letzten Meter, drückt die Klinke hinunter und beim Öffnen der Haustür verschwindet der Grasgeruch und wird ersetzt vom Duft frisch gewaschener Haare und erkaltetem Zigarettenrauch.
Anna schlägt ihm ohne Kraft gegen die linke Schulter, eine Geste, die sie erst vor kurzem etablierte. „Wo warst du so lange, Blank? Ich muss pissen.“
„Hättest mit hochkommen können“, erwidert er und geht an ihr vorbei. Anna folgt ihm sofort. Die Absätze ihrer Schuhe klacken über Stein. Ihre Tasche rutscht und mit einer trotzigen Geste zieht sie sie wieder über die Schulter.
„Karsten ist ein dreckiger Penner, Blank. Bei ihm geh' ich nicht mal auf Toilette, wenn mir jemand eine Knarre an den Kopf hält.“
„Aber sein Gras rauchst du immer noch.“ Marcus geht schneller und Anna bemüht sich, Schritt zu halten. Das Klacken der Absätze klingt hektischer, ein Model außer Kontrolle. „Weißt du eigentlich“, fährt er fort, „dass Karsten jede einzelne Knolle mit seinen ungewaschenen Händen angefasst hat, bevor er sie in die Tüte steckte? Hände, mit denen er sich einen wichst und sich den Arsch abwischt.“
Anna schlägt ihm wieder gegen die Schulter. „Ach, hör auf, Blank.“
„Hör du auf mich zu schlagen, Anna“, schimpft er, auch wenn er es lustig findet, dass sie sich ekelt.
„Ach“, sagt sie und schlägt ihn wieder, „das ist schlagen? Bist du ein Mädchen, oder was?“ Marcus bleibt stehen, Anna läuft noch einige Schritte, dreht sich um und geht zurück.
„Was ist los, Blank? Tut das etwa weh?“ Sie schlägt ihm gegen die andere Schulter. Zum ersten Mal mit Kraft an diesem Abend. Marcus packt ihr Handgelenk.
„Hör auf damit, verdammt noch mal!“
„Blank, du tust mir weh“, sagt Anna und versucht sich aus seinem Griff zu befreien, vergebens und lässt ihren Arm schließlich hängen. Marcus' Klammergriff folgt ihrer Bewegung wie eine Handschelle. „Lass mich los, Blank.“ Sie klingt nach Aufgabe.
„Dann hör auch auf, Anna“, zischt er und lässt los. Anna reibt sich ihr Handgelenk und sieht ihn beleidigt an. Nur einen kurzen Moment traut er sich, ihr in die Augen zu schauen. Er will sie gar nicht betrachten. Zu seinem Glück ist es schon dunkel und ihre Augen, die rosigen Wangen, die vollen Lippen sind fast ganz im Schatten verschwunden. Eine Straßenlaterne beleuchtet hinter ihr ein unbelebtes Stück Gehweg. Marcus geht an ihr vorbei, beschleunigt, dass Anna nichts übrig bleibt als ihm zu folgen. Klack, klack, klack.
„Was ist denn los mit dir, Blank?“ Als sie an seiner Seite ist, was ihr Mühe bereitet, klack, klack, hebt sie ihren rechten Arm, möchte mit ihren Fingern Strähnen aus Marcus' Gesicht streicheln.
„Du bist los, Anna“, erwidert er und dreht seinen Kopf von ihr weg, um den Fingern auszuweichen. Sie versucht nicht weiter, ihm näher zu kommen und senkt den Arm. Marcus holt das Gras aus der Tasche und reicht es ihr. Er hat sich das schon vorhin überlegt, aber er hielt es nur für einen Irrgedanken, ein ungreifbares Gefühl, das nicht weiter wichtig ist. Jetzt
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