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Blanks Zufall: Roman

Blanks Zufall: Roman

Titel: Blanks Zufall: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Sidjani
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setzt er es in die Tat um.
    „Was soll das?“
    „Zieh dir einen rein.“
    „Mach ich auch, später.“
    „Dann nimm“ , sagt er und streckt seinen Arm noch weiter zu ihr, dass die Tüte vor ihrem Oberkörper ist.
    „Wieso soll ich das nehmen?“
    „Weil du es willst.“
    „Und du?“
    Marcus schüttelt den Kopf. „Nimm“, wiederholt er.
    „Nö!“ Das Wort erklingt schrill. Anna ist wütend, soll sie nur sein, Marcus schmeißt die Tüte vor ihr auf den Gehweg.
    „Nimm jetzt die scheiß Tüte, Anna!“ schreit er und geht weiter. Anna bleibt stehen, um die Tüte aufzuheben, so wie Marcus dachte. Eine viel zu leichte Ablenkung von uns. In dem Moment beginnt er zu laufen. Lieber würde er in Rauch verschwinden.
    Sie ruft irgendwas, ihm nach, aber sie wird nicht nachlaufen, ihre Absätze sind zu hoch, und außerdem hat sie endlich, was sie wollte. Marcus läuft an der Haltestelle vorbei, an der er vorhin mit Anna ausgestiegen ist. Was bin ich bloß für ein Kind, denkt er, und wie gut das tut, dieses Weglaufen.
     
    IN ERINNERUNGEN UND einigen Phasen des Lebens verbinden sich manchmal zwei Dinge so miteinander, dass sie als eines erscheinen. Das eine ist nurmehr ein Puzzlestück zum anderen und erst zusammen ergeben sie die komplettierte Erfahrung eines Menschen. Jeder Versuch einer Trennung ist sinnlos.
    Für Marcus gibt es zahlreiche solcher Erinnerungspuzzles; der Kaffeegeruch und Sonntage zum Beispiel (früher hatte seine Mutter sonntags immer frei und wenn er erwachte, umschmeichelte frisch gebrühter Kaffeegeruch seine Nase); oder Karsten und das Koks (er war der Einzige, der wusste, dass Marcus diese Substanz genommen hatte, und er hatte es ihm besorgt); oder Damon Black und der Autounfall.
    Mit dem Studium nun war Anna endgültig verbunden. Nirgendwo sonst hätte er sie kennen lernen können, da war er sich sicher. Sie war in der ersten Woche dabei, als alle neuen Studenten von denen im höheren Semester angeleitet wurden, und sie war in seinen Vorlesungen und Seminaren. So unaufhaltsam Marcus mit jeder Woche, die verstrich, vom allgemeinen Schulabgänger, der seinen Zivildienst beendet hatte, in einen Studenten verwandelt wurde, so symbolisierte Anna diesen neuen Abschnitt seines Lebens. Auch wenn er in den ersten Wochen noch kein Wort mit ihr wechselte, und das Studieren ihn zunehmend frustrierte.
    Zu Beginn seines Studiums verstand Marcus nicht einmal den Unterschied zwischen These und Theorie, und Texte von Durkheim, Weber oder Simmel waren nicht mehr als abstrakte Aneinanderreihungen von Sätzen, deren Sinn sich nicht erschließen wollten. Sträubte er sich so sehr, zu begreifen, oder sträubten sich die Autoren, begreiflich zu werden? Mühsam arbeitete er daran, beides verneinen zu können. Das Einzige, was ihn in der Universität beruhigte, war Annas Anwesenheit, auch wenn er damals noch gar nicht wusste, wie sie hieß. Mal nah, mal fern, aber immer war sie mit ihm. Oder umgekehrt.
    Sie schien genauso verloren, genauso planlos wie er. Marcus glaubte das an ihrem Gang zu erkennen, der sich von dem der anderen unterschied. In seinem Tempo, das fehlte, und dem Zögern, konsequent ein Ziel erreichen zu wollen. Anna ging um zu gehen, mehr nicht. Und wie er mied sie die anderen, die ständig bemüht waren, mehr Kompetenz und Sicherheit vorzutäuschen, als vorhanden war. Wie Marcus hatte Anna schwarze lange Haare und ein Piercing an der linken Seite ihrer Unterlippe. Und wie er schien sie die Einzige zu sein, die von sich glaubte, sie allein gehörte nirgendwo zu und bildete dadurch eine solitäre Elite. Das widerum wurde Marcus bewusst, als er ihre Sitzwahl in den Vorlese-Räumen für einige Tage beobachtet hatte. Während Anna sich stets einen Platz jenseits der anderen suchte, schien sie gleichzeitig zu ignorieren, dass andere überhaupt anwesend waren, und dabei wirkte sie so beiläufig arrogant, dass keiner zu ihr unfreundlich war. Anna war immer allein, aber nie einsam.
    Nur in einem schienen sie und Marcus sich zu unterscheiden. Während Anna in jedem Seminar und jeder Vorlesung aufmerksam zum Dozenten schaute, wanderte Marcus' Blick von Zeit zu Zeit und sehr regelmäßig zu ihr. Manchmal fühlte er sich dabei wie der Junge, den er dachte hinter sich gelassen zu haben, der früher die Klassenschönste angehimmelt hatte. Und gleichzeitig hielt er sich für begabter, weil er in der Lage war, zu erfühlen, dass jemand wie er im selben Raum saß. Und es oblag nun ihm, ihr die Augen zu öffnen,

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