Blanks Zufall: Roman
sich selbst zelebrieren, zu sein, wer man ist, ist wahr, ist erkannt und richtig.
Ohne Ziel. Bin ich. Ohne Ziel. Was treibt mich an?
Ich habe vergessen. All diese Joints, die verschwendeten Stunden und Tage, wo war ich denn? Und wer war ich? Warum erinnere ich mich nicht, was ich letzte Woche tat, oder die Woche davor, den letzten Monat? Ich war in der Uni, saß in Seminaren, brav neben meiner Freundin. Ich habe gearbeitet, Daten geladen und Daten in Powerpoint übertragen, und Texte nach Schema geschrieben. Ich hatte Sex, ich war bei Freunden, ich las ein Buch, vielleicht, ich war im Kino und in einem Club, tanzen. Das alles, ja, habe ich wohl getan. Sicher bin ich mir nicht.
Was ist dieses Leben ohne Ziel, wenn nicht ein schlechter Witz, eine Laune des ergebenen Schicksals, wo kein Zufall mich heraus reißt? Ich selbst bin der schlechte Witz, und mein Leben nur der Spiegel. Brauche ich denn ein Ziel, braucht irgend jemand ein Ziel, das verfolgt werden möchte um seiner selbst Willen? Ziellos zum Ziel, um ein nächstes Ziel zu erreichen, weil es im Grund kein Ziel mehr gibt.
Wenn ich es kann, dann möchte ich die Welt um mich herum so vollkommen klar wahrnehmen, dass ich wenigstens daran glaube, es gibt sie, die reale Welt, hinter all den Realitäten unzähliger Köpfe. Ich weiß, das kann ich nur bis zu einer bestimmten Grenze, aber ich möchte den höchsten Grad an Kontrolle über diese Grenze.
Endlich Kontrolle über mich selbst!
Und dann schütte ich mir diesen Scheiß rein, weil ich nichts kiffen will. Wie erbärmlich theatralisch. Anna! Schau, tief in mich, was du sonst nicht kannst, und sag mir, wie klein das Mädchen in mir ist.
Betäubungsmittel, ganz gleich ob in diesem Moment legal konsumiert, sie stecken in meinem Blut, Nikotin und Alkoloide rennen gegen meine Rezeptoren und verändern mich, machen mich anders, als ich sein will. Dabei drängt sich mir die Frage auf, wie das Schnappen eines Raubtieres: Wer will ich denn überhaupt sein?
Darauf kann ich nicht antworten. Kann es überhaupt jemand, in meinem Alter? Zwanzig irgendwas und nichts. Eine ganze Generation von planlosen Affen, die zum Konsum und zur Arbeit geboren wurden. Denn auch wenn wir nichts wissen, das bleibt. Konsum und Arbeit. Nur wo bleiben wir? In einem Dickicht aus Betäubungsmitteln.
Schau sie dir doch an, Anna, schau dich selbst an. Ob Karsten jemals wieder nach seiner elektrischen Gitarre greifen wird, ob du noch einmal Farben auf Leinwände zauberst, ob irgend jemand überhaupt noch dem nachgehen wird, was er kann und will, wo er herkommt und was seine natürliche Veranlagung ist?
Nein, wir trainieren uns die Veranlagung erfolgreich ab. Wo bleiben die Künstler, die auf Drogen schaffen, nicht in unserer Generation oder übersehe ich da was? So viele verhinderte, behinderte Nichtsnutze, das ist kein vorübergehendes Manko mehr, sondern ein soziales Phänomen. Das Merkmal unserer Generation Planlos.
Die letzte Flasche Jägermeister schmeißt Marcus ungetrunken in den kleinen See, der an die große Wiese des Stadtparks grenzt. Das benommene, träge Gefühl verlässt ihn schleichend, die Watte drückte nur kurz auf sein Gehirn. Anders als beim Kiffen, bleibt der Rausch nur kurze Zeit. Das Rasen der Gedanken hat aufgehört, die Wut kehrt zurück. Nun endlich unverschleiert tritt zu Tage, dass es nicht Anna ist, die er schlagen möchte, sondern sich selbst.
Marcus zündet sich eine Zigarette an und schmeißt die Packung und sein Feuerzeug in einen Mülleimer. Auf einer Parkbank, unter Ästen, vom Frühling schon begrünt, raucht er zu Ende. Marcus drückt den Stummel unter seiner Sohle aus.
Mit der Bahn fährt er von der Alten Wöhr (Stadtpark) bis in sein Stadtteil, das nördliche Hamm, auch für Arbeiter, aber nicht so heruntergekommen, vielleicht ein guter Mittelstand, allerdings mit den gleichen Betrunkenen am Bahnhof.
Im Treppenhaus lässt er wieder das Licht aus, tastet sich vor, wartet auf den Schritt, der keine Stufe erklimmt und im Leeren landet, dass er stolpert und fällt. Nichts geschieht, und als er vor seiner Wohnungstür steht, den Schlüssel ertastend, sieht er Licht durch die Spalten.
„Hast du vergessen, dass ich einen Schlüssel zu deiner Wohnung habe?“ ruft Anna aus dem Wohnzimmer, als er sich die Stiefel im Flur auszieht.
SEINEN ERSTEN JOINT rauchte Marcus auf einer Klassenreise, er war fünfzehn, sie war sechzehn, musste eine Klasse wiederholen und hieß Mariela. An einem Abend lösten sie
Weitere Kostenlose Bücher