Blanks Zufall: Roman
haben.
Es klingelt wieder und diesmal hebt er ab. Ohne Begrüßung, nur schweres Atmen.
„Mann, wie peinlich bist du denn?“ fragt Anna. Marcus meint, ihr verbittertes Lächeln zu hören, das nur überspielen soll, wie wütend sie ist. In den letzten Wochen sah er es vermehrt; beim Frühstück, wenn er keine Brötchen kaufen wollte, weil sie noch Brot im Haus hatten; in der Uni, wenn er ihr nicht wiederholte, was der Professor gerade sagte, weil sie einfach nicht zuhörte; nach dem Kino, weil er nicht über die gesamte Dauer des Films seine Hand auf ihrem Oberschenkel ruhen ließ; die Liste ist endlos, scheint es, und Marcus hat keine Lust mehr und antwortet nicht.
„Was soll denn das, Blank?“
Marcus schnauft und lauscht.
„Bist du bis eben gelaufen, oder was? Mensch, Blank, was ziehst du hier für eine Scheiße ab? Du läufst vor mir weg wie ein kleines Mädchen.“
„Dann bin ich das“, keucht er.
„Was?“
„Ein kleines Mädchen.“
„Du spinnst.“
„Ja, ich spinne“, sagt er, „und du auch. Merkst du eigentlich, was wir hier machen?“
„Was du hier machst, meinst du wohl?“
„Was wir mit uns machen, Anna. Der ganze banale Dreck. Was ist nur passiert?“
„Jetzt pass mal auf, Blank. Deine theatralische Scheiße kannst du dir sonstwo hinschieben. Ich hab keinen Bock auf solche Spiele, verstanden? Entweder du kommst jetzt zurück und wir fahren zu mir und rauchen einen...“
Anna bricht ab. Sie atmet zischend ein und wieder aus, ein und aus. Marcus weiß, wie sehr sie versucht sich unter Kontrolle zu halten. Lange dauert es nicht mehr. Ihr sarkastischer Unterton ist ehrlicher Angst gewichen.
„Oder was?“ fragt er.
„Blank!“ kreischt sie plötzlich und Marcus hält das Telefon von seinem Ohr, „Jetzt komm endlich zurück, du verdammtes Arschloch!“
Marcus sagt nichts. Am liebsten, denkt er, würde ich dir in dein blasses Puppengesicht schlagen, nur eine Ohrfeige; Klatsch! und du bist ruhig; dass du merkst, was für ein Arschloch ich sein will.
Er richtet sich auf und schaut zum Himmel. Der beinah volle Mond wirkt matt und kraftlos. Marcus spannt seine Muskeln an, lässt wieder locker und schüttelt sich, schüttelt seine Wut und den Frust durch seinen Körper. Dann legt er auf, schaltet das Telefon aus und läuft weiter die unbekannte Straße hinauf, durch Wohngebiet bis zur nächsten, beleuchteten Hauptstraße. Er kennt den Weg nicht, aber etwas in ihm weiß anscheinend, wohin er läuft.
Marcus stoppt bei der Alten Wöhr, einer S-Bahn-Haltestelle, die auf Schildern in Klammern neben ihrem Namen das Wort (Stadtpark) trägt. Dort ist ein Kiosk, nicht mehr als eine Holzhütte mit einer großen Scheibe, die zur Hälfte geöffnet ist. Das Angebot ist wenig, und die Besucher des Parks, mit jedem Sommermonat mehr, kaufen das Wenige, bis nicht mehr viel bleibt. Marcus besorgt sich Zigaretten und kleine, portionierte Jägermeister-Flaschen.
Betäuben will er. Was, weiß er nicht. Die letzten Jahre, der vermehrte Hasch-Konsum, etwas will jeder betäuben, der es zu sich nimmt, schlechte Erinnerungen, ein falsches Leben oder die Drangsahl des vergangenen Tages. Marcus möchte nicht mehr spüren, was er wegen Anna in sich trägt, wegen ihrer Beziehung, die zu einer Ödnis verkommt, weil nichts mehr geschieht, nur Wiederholungen einer Serie, die nie über eine erste Staffel hinaus kam und nun in ewiger Rotation die Zuschauer langweilt.
Von der Alten Wöhr sind es nur fünf Minuten bis zum Stadtpark, aber Marcus will nicht warten und spült die erste Flasche Jägermeister in seinen Körper. Hochprozentige Kräuter, augenblicklich warm im Körper, benommen, aber nicht betäubt, wie er es gerne hätte. Wenn die Watte das Gehirn umschließt und Gedanken nur um sich selbst drehen, wenn das Leben keine Egos mehr zulässt außer dem eigenen. Wenn nur noch das Ich vorhanden ist, sich selbst genügend und gleichgültig.
Bei seiner ersten Zigarette seit vier Jahren hustet Marcus, Joints zu rauchen ist dafür kein Training. Nach einer zweiten Flasche ist es so weit, Marcus spürt nicht mehr viel von seinem Zorn, und erreicht den Park im Schatten.
Zu viele Spaziergänger, denkt Marcus, um diese Zeit, und doch ohne Ziel, das Gehen als Selbstzweck, damit wir das Gefühl bekommen, noch etwas getan zu haben bevor es ins Bett geht, allein oder zu zweit, spielt keine Rolle, es ist so, nur so, wie es ist. Sie alle haben ihren Alltag, in dem es bequem und sicher bleibt. In dem sie den Glauben an
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