Blanks Zufall: Roman
ehrlich“, widerspricht Henning, „ich tue nur so. Das machen Menschen ständig. Die Kunst ist, wie ich finde, zu durchschauen, ob jemand lügt oder nicht.“
„Oder ob etwas der Wahrheit entspricht oder nicht.“
„Ganz genau“, sagt Henning, der verblüfft ist, das ihm Dougan Hall jetzt zustimmt.
„Können Sie das? Die Wahrheit herausfinden?“
„Ich denke schon.“
„Aber können Sie auch was dagegen tun? Wenn Sie wissen, dass es eine Lüge ist, oder wenn jemand so tut, als wäre es eine Lüge, obwohl es wahr ist?“
„Sie meinen, ob ich dafür sorgen kann, dass die Wahrheit ans Licht kommt?“
„Sozusagen, ja.“
Henning glaubt, dass es der folgende Satz ist, der für die Wette verantwortlich ist. Vorher ist Dougan Hall nur darauf aus, ein Gespräch zu gewinnen, was keinen Sinn macht. Hall gewinnt gerne, so scheint es, nur um zu gewinnen. Henning weiß, dass er nicht sagen darf, was er nun sagt, eine innere Stimme warnt ihn, aber er hört nicht hin.
„Ich glaube daran, dass ein ehrlicher Mensch, der die Wahrheit kennt, sie auch entlarven kann, und dass andere Menschen seine Ehrlichkeit erkennen können und dadurch die Wahrheit für jeden ersichtlich wird.“
Dougan Hall prostet ihm zu und schluckt seinen vierten Whiskey.
„Sie Glücklicher“, sagt er dann.
„Warum?“
„Weil Sie daran glauben können. Ich kann das nicht. Ich weiß nur, dass erfundene Wahrheit und erfundene Lügen nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Weil jeder das glaubt, was er lange genug hört, und nicht das, was wirklich wahr ist.“
„Was soll das überhaupt sein, erfundene Wahrheit und erfundene Lügen?“
„Eine Lüge, die wahr wird, weil sie jeder glaubt, und vice versa, eine Wahrheit, die zur Lüge wird, weil jeder glaubt, sie sei erlogen.“
„Was für ein Quatsch“, erwidert Henning. Der Mut, so zu widersprechen, schreibt er seinem Alkoholpegel zu.
„Wollen wir wetten?“
Die Frage, die Henning nach dem Abend beschäftigt, ist, wie will Dougan Hall seine Fiktionen beweisen? Das kann er gar nicht, denkt er, und außerdem war es ein langer Abend mit viel Alkohol.
Henning vergisst das Treffen schnell, er möchte es zumindest, weil er sich irgendwie dreckig fühlt, wenn er daran zurück denkt. Nicht weil etwas Unanständiges oder Unangenehmes vorfiel, sondern weil die Nähe zu Dougan Hall sich schmutzig anfühlt. Henning vergisst es, verdrängt es, bis er eines Abends nach Hause kommt, in seine Vier-Zimmer-Wohnung, die er sich mit seiner englischen Freundin Gina teilt. Es sind schon mehr als drei Monate seit dem Treffen vergangen und der Frühling kündigt sich an.
Als Henning bemerkt, dass er alleine ist, nimmt er noch an, dass Gina sich mit Freunden trifft, aber später findet er ihren Brief auf dem Schreibtisch im Arbeitszimmer. Keine Anrede, kein Abschied, nur ein paar Sätze, in denen sie ihn als Schwein bezeichnet und dass sie am nächsten Tag kommen werde, um ein paar Sachen von sich mitzunehmen. Keine Angabe von Gründen, keine Anzeichen zuvor.
Henning versucht, sie auf ihrem Mobiltelefon zu erreichen und hat Glück. Aber anstatt sich zu erklären, schreit sie ihn an, was für ein Arschloch er sei und wie er ihr das antun könne.
„Was antun, Gina? Wovon redest du, um Gottes Willen?“
„Man hat dich gesehen, Henning, mit dieser anderen Schlampe. Am Anfang wollte ich es ja nicht glauben, weißt du, aber das geht jetzt schon eine ganze Weile. Du bist ein Arschloch!“
Dann legt sie auf. Er versucht wieder anzurufen, aber sie hat das Telefon ausgestellt.
Am nächsten Tag kommt es zu keinem längeren Gespräch, als Gina in die Wohnung zurück kehrt. Sie schreit, dass sie ausziehen und Henning mit den ganzen Rechnungen alleine lassen wird.
„Dann kann ja deine Schlampe hier einziehen!“
„Da ist niemand.“
Gina klatscht ihm mit der rechten Handfläche ins Gesicht.
„Du Lügner! Sie war doch gestern hier.“
„Niemand war hier, Gina, so glaub mir doch. Wer erzählt dir denn sowas?“
„Alle, Henning, alle erzählen sowas.“
Nur wenige Tage später melden sich einige seiner Kunden, um den Vertrag mit ihm zu kündigen. Als er mit wenigstens einem im normalen Tonfall sprechen kann, erfährt er, dass sich herum gesprochen hat, dass Henning gar nicht studiert ist.
„Sie brauchen sich ja nicht dafür zu schämen, Herr Weishausen, es ist ja keine Schande, ohne Abschluss von der Uni zu gehen. Viele machen das. Aber ihren Kunden hier was vorzulügen? Sie können froh
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