Blanks Zufall: Roman
in dessen Gegenwart unwohl, was Henning aber nur bemerkt, wenn McFrice von seinem Platz aufsteht, um auf Toilette zu gehen. Die dann einsetzende, zweisame Stille ist unangenehm. Warum Henning sich dann tatsächlich mit Dougan Hall trifft, wundert ihn noch mehr. Vielleicht ist es Halls letzte Bemerkung beim Abschied, die Hennings Interesse entfacht.
„Ich würde gerne wissen, ob Sie ein ehrlicher Mensch sind, Henning. Ich bin bisher noch keinem begegnet, besonders nicht in diesem Business.“
Das 'You' im Englischen bleibt in Marcus' Vorstellung und Übersetzung ein 'Sie'. Diese Formalität macht es ihm einfacher, das Unbekannte zwischen Henning und Dougan Hall zu betonen. Er möchte sich nicht vorstellen, dass die beiden auf der vertrauten Ebene des 'Du' waren. Als wäre es jemals möglich, dass Hall ein Freund sein könnte.
Das erste Treffen der beiden bleibt das einzige. Sie werden sich danach nicht wieder sehen, auch wenn Henning mehrmals versuchen wird, über Charles McFrice an ihn zu gelangen. Aber McFrice wird Henning dann nicht mehr glauben und so jede Bitte ausschlagen, ihn das eine Mal, das letzte Mal, sogar unsanft vor die Tür setzen lassen.
Dougan Hall trägt an jenem Abend denselben Anzug wie bei ihrem Treffen im Hotel, aus schwarzer Seide, darunter ein weißes Hemd, keine Krawatte oder Fliege. Seine Haare sind kürzer als das letzte Mal, das Gesicht glatt rasiert. Henning fällt sein Geruch auf, Minze und Rauch.
Sie plaudern zunächst unverbindlich, essen teuer in einem der besten Restaurants von London. Hall hat es ausgesucht. Und er bezahlt auch, wie er sagt. Woher er das Geld hat, fragt sich Henning nicht. Die erste Flasche Wein lockert die Zungen, die zweite Flasche die Körper, und sie gehen Tanzen. Für Mittzwanziger gibt es einige nette Clubs, sagt Hall, und führt Henning in einen, den er noch nicht kennt. Die nächsten drei Stunden tanzen sie ausgelassen, flirten mit Frauen, haben Spaß. Zum ersten Mal fühlt Henning sich wohl, seit er Hall an diesem Abend traf.
Später des Nachts, gegen drei Uhr vielleicht, in einem separierten Raum, der mit dem in Mode gekommenen Wort Chillout Lounge gut beschrieben wird, kommt es zum folgenschweren Gespräch, das Henning alles bereuen lässt; dass er Charles McFrices Einladung ins Hotel annahm; dass er Dougan Hall traf; dass er ihm seine Nummer gab.
„Glauben Sie“, beginnt Dougan Hall das Gespräch, „dass es einen Menschen gibt, der ehrlich ist?“
„Sie meinen, ob er immer ehrlich ist?“
„Nun, eine Notlüge hier und dort schadet ja nicht und jeder benutzt sie das eine oder andere Mal. Was ich meine, ist das Grundaufrichtige, Ehrliche in einem selbst. Glauben Sie, dass es solch einen Menschen gibt?“
Henning lacht an dieser Stelle. Daran erinnert er sich noch genau. Weil er nicht weiß, was er antworten soll, also antwortet er, was ihm Sinn macht.
„Ich bin so ein Mensch, zum Beispiel, meine Freundin ist so, meine Freunde in Hamburg auch.“
Jetzt lacht Dougan Hall und es klingt blechern, unehrlich. Als wollte er eigentlich schimpfen oder schreien.
„Diese Antwort habe ich erwartet“, sagt er, „diese Antwort gibt mir jeder, den ich frage. Wirklich jeder, können Sie sich das vorstellen?“
Henning sagt: „Ja. Würden Sie denn nicht so antworten?“
Hall schüttelt den Kopf.
„Ich halte es mit den Worten von Damon Black: Ich bin ehrlich damit, dass ich unehrlich bin.“
„Aber das gilt doch nur für Ihre Shows, oder nicht? Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass sie nie ehrlich sind?“
„Doch, natürlich bin ich ehrlich. Aber ich kann trotzdem die Wahrheit sagen, obwohl es eine Lüge ist. Und ich kann lügen, wenn es die Wahrheit ist.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Nehmen wir eine einfache Lüge. Sie haben gerade Ihre Frau betrogen, was Sie natürlich niemals machen würden, so schätze ich Sie ein, aber nehmen wir es einmal an. Sie haben gerade Ihre Frau betrogen und kommen nach Hause und antworten auf die Frage, wo Sie heute Nacht waren, mit dem, was alle Fremdgeher sagen. Sie haben Überstunden gemacht. Nun kommt es darauf an, ob Sie in jenem Augenblick daran glauben, was Sie sagen, denn dann sind Sie ehrlich. Und auch ehrlich zu sich selbst, weil sie die Wahrheit kennen.“
Henning findet diese Erklärung absurd. Eine Lüge bleibt eine Lüge, ganz gleich, ob man sich glauben macht, dass sie wahr ist, sie erzählt, als ob sie wahr ist, wenn sie tatsächlich nur eine Lüge bleibt.
„Ich bin dann nicht
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