Blanks Zufall: Roman
sein, dass wir sie nicht anzeigen. Das, was Sie machen, ist illegal.“
Henning versteht nichts mehr. Und nach mehreren durchzechten Nächten und Tagen, in denen er sich wünscht nur einen Albtraum zu träumen, sitzt er mit Kopfschmerzen in seiner heißen Badewanne, als ihn der Gedanke wie ein Blitz durchzuckt und ihm die Kehle zuschnürt.
Gina ging, weil er sie betrogen hat. Eine Lüge, die für sie Wahrheit ist. Die Kunden gehen, weil Henning keinen Abschluss hat. Eine Wahrheit ist für sie eine Lüge. Henning wird kalt im heißen Bad und er zittert, als er denkt: Dougan Hall hat seine Wette gewonnen.
Allein kann Henning die Miete für seine Wohnung nicht bezahlen, besonders nicht, wenn ihm fast die Hälfte seiner Kunden weg bleibt (alte Weggefährten, die er schon während der Uni-Zeit kennen lernte, glauben gar nicht, was ihnen erzählt wurde, von einem unbekannten Anrufer, der 'die Wahrheit über Henning Weishausen verbreiten will').
Jetzt ist Henning auf der Suche nach einer kleineren Wohnung und morgen wird ihn ein Vermieter informieren, ob er den Zuschlag erhält. In einem anderen Stadtteil, weiter entfernt von seinem Büro, und kleiner, aber besser als Nichts. Das denkt Henning zurzeit jeden Tag, sagt Frank. Das, was er noch hat, ist besser als Nichts.
NOCH BEVOR FRANK die Geschichte von Dougan Hall zu Ende erzählt, bedauert Marcus, dass Henning aus diesen Gründen zurück nach Hamburg kommen will. Verständlich ist es, ja, aber Marcus würde am liebsten sofort nach London reisen, um seinem Freund beizustehen, auch wenn er nicht weiß, wie er das tun könnte. Dougan Hall finden und ihn verprügeln, dann dazu zwingen, jedem die Wahrheit zu erzählen?
Es ist, als würde eine andere Macht, jenseits ihrer selbst, dafür sorgen, dass Menschen ihr Leben ändern müssen, ob sie wollen oder nicht. Und Henning bekam diese Macht vollkommen zu spüren, Dougan Hall war nur der Bote, das Medium dieser Macht. Hier in Hamburg würde Henning von vorn beginnen, in einer anderen Sprache, mit anderen Regeln. Marcus sieht seinen Freund schon eine Wartemarke im Arbeitsamt lösen.
Marcus eigene Probleme erscheinen ihm nun ungleich geringer, für ihn steht nicht mehr auf dem Spiel als vielleicht seine geistige Gesundheit. Und da er ehrlich zu sich ist, spielt er damit lediglich auf intim vertrautem Terrain. Probleme mit sich selbst, wann gab es die nicht? Womöglich in einer Zeit, bevor er Wahr und Schein auseinander halten konnte.
Frank und er schweigen eine ganze Weile, als die ganze Geschichte erzählt ist. Beide blicken sie aus dem Fenster, hinaus in den blauen Frühlingshimmel. Marcus erschrickt, als Frank sich räuspert und ihn mit seiner dunklen Stimme fragt: „Und was wolltest du jetzt genau mit mir besprechen? Anna, Studium und Kiffen waren die Stichwörter, richtig?“
„Verstehe mich nicht falsch, Frank, aber ich will nicht mehr darüber reden. Die Geschichte von Dougan Hall hat bei mir einiges ins rechte Licht gerückt und meine Probleme erscheinen jetzt, nun ja, banal.“
„Ich weiß genau, was du meinst.“
„Du hast Probleme?“
Jetzt lacht Frank wieder.
„Ach, ich habe noch etwas für dich. Ein Geschenk von Henning für dich zum Geburtstag. Er hat es mir geschickt, damit du es nicht vorher öffnest, aber da du heute schon mal bei mir bist, denke ich, ist es in Ordnung, wenn ich es dir mit gebe.“
Frank steht auf, geht in sein Wohnzimmer und kehrt mit einem schlicht verpackten Geschenk zurück, blaues Papier, unverziert und ohne Schleife, fast quadratisch in der Form, höchtens vierzig Zentimeter an den Seiten lang und nicht höher als eine Tischplatte dick ist.
„Das ist für dich, Blank, von Henning. Mein Geschenk kriegst du an deinem Geburtstag. Mir war so, dass du morgen in Jennys Kneipe rein feierst, oder nicht?“
Marcus zuckt mit den Schultern.
MARCUS WOLLTE SICH in Geduld üben, das Geschenk nicht öffnen, aber seine Neugierde, sein Verlangen nach einer Abwechslung von den letzten Tagen siegten. Jetzt sitzt er wieder auf seinem Sofa, ohne Kaffee und mit Nachtschwärze vor den Fenstern, und liest den Brief, den Henning ihm ins Geschenk steckte, zum dritten Mal. Das Buch „Confessions of an Illusionist“, das zweite von Damon Black, neben sich, Hennings Geschenk.
Moin Moin Blank,
alles Gute zum Geburtstag, mein Alter. Auf dass das nächste Jahr noch besser wird als das letzte, was bei dir nur bedeuten kann, dass du endlich aufhörst zu kiffen (nicht dass ich was dagegen
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