Blanks Zufall: Roman
die Freunde geworden, die sie jetzt sind. So erinnert es Marcus zumindest.
Henning wollte eine Gruppe um sich haben. Nicht, weil er sie anführen wollte, sondern weil er Spaß daran hatte, mit mehreren gleichzeitig etwas zu unternehmen, und Karsten, Frank und Marcus waren seine Auserwählten. Zu viert erlebten sie Abenteuer, legale (wie auf Spielplätzen und in den Einkaufszentren) und nicht so sehr legale (wie abends in einem verlassenen Haus oder nachts auf Friedhöfen). Sie erzählten sich Geschichten, die in ihren kindlichen Köpfen zu wahren Erlebnissen wurden.
Wenn sich einer von ihnen ausdachte, dass sie von Zombies verfolgt wurden, dann hörten sie das Keuchen und Röcheln der Untoten hinter sich und rannten um ihr Leben. Der Angestellte in einem Kaufhaus war plötzlich ein Mörder, der beobachtet werden musste, und die Frau aus der Nachbarschaft, die jeden Tag ihre drei Hunde ausführte, war in Wirklichkeit ein Dämon, der jeden mit einem Fluch belastete, der ihr in die Augen schaute.
Ihre kindliche Phantasie hatte keine Grenzen, mal waren sie Steinzeitmenschen auf der Suche nach dem Feuer, dann wieder Astronauten auf ihrem Irrweg ins Weltall. Sie waren Detektive, Geisterjäger, Cowboys, Polizisten, Kampfsportler, Piraten, Geister, Rock- und Filmstars, Ärzte, Anwälte und Diebe, sogar Mönche oder Magier. Und all diese Treffen, dieses Gemeinsame organisierte Henning mit solch einer Hingabe (Vorbereiten von Requisiten oder Tonbandaufnahmen von Geräuschen, die zur Atmosphäre beitragen sollten), dass er später, als sie längst Jugendliche waren, den Plan fasste, seinen Freunden zu Erfolg zu verhelfen.
Henning wollte Marcus' Zaubershows groß rausbringen, was ihm im Schulumfeld sogar gelang, er wollte Karstens damalige Band „The Bad Duck“ auf die großen Bühnen Hamburgs (und später der Welt) bringen, was ihm nicht gelang, und er wollte Franks Kurzgeschichten veröffentlichen, ihm Lesungen organisieren, was an Franks mangelnder Konsequenz zu schreiben scheiterte. Heute ist Henning der Einzige von ihnen, der seine Vorstellungen von seinem zukünftigen Ich wirklich werden ließ.
Nach einem Austauschjahr in London blieb er in England, studierte Event-Management, knüpfte Kontakte und vermittelte noch während des Studiums seine ersten Kunden. Heute trägt Henning als Veranstalter für Musik-Festivals und Vermittler für Schauspieler zum kulturellen Erbe der britischen Hauptstadt bei. Marcus kann sich nicht vorstellen, warum Henning nun diese Position, diese Berufung aufgeben möchte, um in ein Hamburg zurück zu kehren, das kulturell immer mehr von einer Kürzungspolitik bestimmt wird.
„Ja, es wäre cool, wenn Henning wieder zurück kommt. Aber es ist auch irgendwie nicht cool, wenn man weiß, wieso.“
„Wieso denn?“ fragt Marcus, obwohl es unnötig scheint. Frank lächelt noch immer nicht. „So schlimm?“
Frank zuckt mit den Schultern, eine Geste, die Marcus nicht von ihm kennt. Ratlos ist Frank nie, er hat immer zu allem eine Meinung. Das ist, was er so schätzt und was viele nicht an ihm mögen. Sein Schulterzucken kann nur bedeuten, dass er nicht für Marcus entscheiden möchte, ob es schlimm ist. Für sich selbst hat es Frank bestimmt schon entschieden.
„Das Seltsame ist, dass sein Vorhaben, vielleicht wieder nach Hamburg zu kommen, auch mit dir zu tun hat, wenn auch sehr indirekt.“
Frank nimmt einen tiefen Schluck Kaffee und zündet sich eine Zigarette an. An vorgestern erinnert, als Marcus mit Anna Schluss machte (was er noch gar nicht wirklich tat, erinnert er sich, er versprach, mit ihr am nächsten Tag zu reden, was gestern war), bittet Marcus auch um eine und lässt sie sich von Frank, unter seinem skeptischen Blick, anzünden.
„Ich frage jetzt gar nicht erst, warum du wieder rauchst. Solange du dir bei mir keinen Joint anzündest, ist alles in Ordnung zwischen uns.“
„Hab damit aufgehört.“
„Ach, darum bist du heute hier? Es sind einschneidende Veränderungen, mein Freund, wenn ich richtig liege?“
„Egal, Frank. Warum hat Hennings Entscheidung was mit mir zu tun? Erzähl endlich!“
„Na ja, indirekt hat die Entscheidung mit dir zu tun, wie gesagt. Es ist dein erklärtes Vorbild, das für eine seltsame Begegnung sorgte.“
„Damon Black?“
„Genau der. Henning weiß ja, wie gerne du ihn auf der Bühne sehen möchtest, wie viel es dir bedeuten würde. Wir alle wissen das. Und als er auf einem Fortbildungsseminar in Cambridge zum Thema 'Overseas
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