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Blanks Zufall: Roman

Blanks Zufall: Roman

Titel: Blanks Zufall: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Sidjani
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entlässt, sucht er sich für den zweiten Akt vier Freiwillige (egal, ob ihm bekannt oder nicht), die zu ihm auf die Bühne kommen sollen. Aus seiner rechten Hosentasche holt er vier Pendel hervor, die an dünnen Ketten hängen und er lässt jeden von ihnen (zwei Unbekannte sowie Sebastian und Kerstin) nach seinen Anweisungen pendeln (im Kreis, hin und zurück, schnell und langsam). Schließlich entscheidet er sich für Gerhardt, einen vierundfünfzigjährigen Barkeeper von gegenüber, dessen Pendel am effektivsten ausschlägt (was bedeutet, dass Gerhardts Unterbewusstsein durch Marcus' Anweisungen fast widerstandslos manipuliert werden kann).
    Marcus erprobt hier einen Effekt, den er von Damon Black kennt und den er bisher noch nie anwendete. Er hypnotisiert Gerhardt, dass dieser glaubt, betrunken zu sein (nicht bevor Marcus feststellt, dass Gerhardt zuvor nur Wasser trank, was er durch seine Studien vor Beginn sicher stellte). Und tatsächlich entwickelt Marcus ein Stichwort (Jägermeister), das bei Gerhardt das betrunkene Gefühl hervor ruft. Mit diesem Trick (denn nichts anderes ist Hypnose, aber das erzählt er noch nicht) sorgt Marcus für den 'Running Gag' des Abends.
    Mit der einfachen Frage, ob Gerhardt noch einen Jägermeister möchte, fängt dieser an zu lallen und schunkeln, dass er sich setzen muss. Mit dem Wort 'nüchtern' hebt Marcus den Spuk wieder auf. Er sorgt für Gelächter auf Kosten eines anderen, aber dieser ist, so viel weiß Marcus, selbst darüber amüsiert und fragt seinen Kumpel, mit dem er im 'Raschinskis' erschien und der ebenfalls pendelte, seine Betrunkenheit als Video mit seinem Mobiltelefon aufzunehmen.
    „Das kommt auf YouTube“, kommentiert Gerhardt sich selbst betrachtend, als er es sich später ansieht, und das Publikum lacht.
    Der dritte Akt ist das Spiel der Karten, woran Marcus am längsten arbeitete. Nicht weil die Tricks so anspruchsvoll sind, sondern weil es so wichtig ist, den richtigen Schein herzustellen, das Ablenken. Marcus entblättert ein Kartendeck mit nur einer Hand, er mischt behände und lässt Karten verschwinden und andernorts wieder auftauchen. Er weiß zuvor, welche Karte die erdachte von einem Freiwilligen ist. Worauf er verzichtet an diesem Abend, ist 'Smoke'. Kein Tisch, zu viele Menschen und damit zu viele Risiken, dass es nicht funktioniert.
    Die ersten drei Akte vergehen schnell. Hat Marcus erstmal angefangen, dann vergeht alles zu schnell (ein Phänomen, das ihm sehr bekannt ist, weil Zeiten, in denen es ihm gut geht, so losgelöst von aller Besorgnis, kurz und rar sind). Darum bremst er sich mit einer Pause.
    „Jetzt habt ihr Zeit, was zu Trinken zu kaufen. Und das müsst ihr auch, sonst kriege ich keine Gage. Abgesehen davon müssen einige von euch auch mal auf Toilette. Los, geht schon! Eure gequälten Gesichter möchte ich nach der Pause nicht mehr sehen.“
    Unter Gelächter entlässt er das staunende Publikum.
    Er möchte mit niemandem von ihnen reden, bis es weiter geht, und verlässt ohne weitere Worte die Bar, geht hinaus auf den Hamburger Berg, eine Straße des Kiez', und biegt nach links ab, um am 'Blauen Peter' vorbei zum 'Grünspan' zu gehen, einem Rock-Club, der von Independent bis Heavy Metal spielt. Es ist kurz vor elf Uhr und er wird gleich erst geöffnet. Heute ist die 'Heavy-Night' und zwei Türsteher haben sich schon vor der Tür zum Inneren positioniert. Sie betrachten Marcus mit ihren kalten, abschätzenden Blicken (einstudiert und klischeehaft), während er sich das Programm an der Wand durchliest.
    Wenn Marcus seinen ersten Münzwurf vorhin angenommen hätte, dann wäre er nachher dort, tanzend im 'Grünspan', in seinen Geburtstag rein feiernd, alleine, oder vielleicht mit Frank, aber niemandem sonst. Jenny hätte er zu späterer Stunde dann einen kurzen Besuch abgestattet, damit „ ich dir wenigstens gratulieren kann“, wie sie sagte. 
    Marcus geht zur Kreuzung zurück, die er gerade auf dem Weg zum 'Grünspan' überquerte, und schaut in den Hamburger Berg. Vor dem 'Raschinskis' stehen ein paar seiner Zuschauer und rauchen, und er lässt seinen Blick über die Straßen nach links und rechts schweifen. Noch sind wenige Menschen unterwegs, die Partys beginnen hier immer spät, besonders an einem Freitag. Vorher treffen sich die meisten bei jemandem zuhause, um vorzuglühen, wie es heißt. Billigeren Alkohol trinken, weil es auf dem Kiez so teuer ist. Jeder braucht seinen Pegel, damit die Partys überhaupt spaßig

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