Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
versehen, hat sie mich an euern Küchentisch gezerrt und mir was Essbares vorgeschoben.«
Johannes stand ihr immer noch wortlos gegenüber, das alles war etwas zu viel für ihn.
»So, also ich weiß ja nicht, wie das in einem Bergdorf läuft, aber ich finde, du solltest dich jetzt zuerst entschuldigen, dass du dich nicht gemeldet hast, und dich dann bedanken, dass ich extra zu dir gekommen bin.«
»Was? Ich war jeden zweiten Tag bei euch, und stets war das Haus verschlossen.«
»Ja, ich weiß, wir waren in der Stadt.« Johannes verschränkte die Arme vor der Brust:
»Du hast mir deine Telefonnummer nicht gegeben!«
»Aber dir meinen vollen Namen gesagt!«
»Der nicht im Telefonbuch steht!«
»Telefonbuch? Gibt es so was heut überhaupt noch?«
»Ja natürlich!«
Und plötzlich lachte Simona:
»Lass mich raten, du hast kein StudiVZ, kein Facebook, kein Skype, kein MSN, kein ICQ und bist auch nicht bei Twitter?«
»Natürlich nicht! Der Digamma-Klub ist der Überzeugung, dass soziale Netzwerke der absolute Untergang sind. Und ich würde dich auch niemals googeln, ich habe Ehre!«
»Ur arg! Das erklärt einiges. Am Sonnwendfeuer hast mir ja deinen Nachnamen gesagt, also hab ich gedacht, du bist bei Facebook. Ich mein, in unserm Alter stellt man sich nur mit Nachnamen vor, wenn man will, dass man bei Facebook gefunden wird. Und dann hab ich ewig auf deine Freundschaftsanfrage gewartet, dann ist voll nichts gekommen, dann hab ich dich gesucht, nichts gefunden, und dann war ich sauer, weil ich gedacht hab, du verarschst mich.«
Johannes schüttelte ungläubig den Kopf.
»Ich verarsche dich? Das würde ich nie tun!«
»Heißt das, wenn du bei Facebook wärst, hättest du mir geschrieben?«, fragte sie, woraufhin Johannes eilig entgegnete:
»Sofort! Auf der Stelle! Keinen Augenblick hätt’ ich gezögert!«
Simona legte den Kopf schief, schien sich die Folge dieser Aussage gut zu überlegen, doch dann ging sie auf ihn zu, küsste ihn auf die Wange und umarmte ihn.
»Johannes A. Irrwein, ich find das extrem süß, dass du so altmodisch bist.«
Sie kicherte, er sah in ihre türkisfarbenen Augen, war von tausend Gefühlen und Gedanken überwältigt, bis plötzlich Ilse die Tür öffnete. Sie hatte die Stiegen bewältigt.
»Huhu, ihr zwei, wollts es a Frappé? I könnt ans mit Erdbeeren, Brombeeren, Ribisln –«
»Es ist nach zehn. Danke, nein. Und bitte stör uns nicht.«
Ilse schnitt eine Grimasse und zog die Tür hinter sich zu. Etwas schüchtern küsste Johannes Simona schließlich, und er war von der Leidenschaft überrascht, mit der sie seinen Kuss erwiderte. Und je länger sie so verweilten, desto wohler fühlte sich Johannes, desto weniger Gedanken plagten ihn, wie er sich nun am besten positionieren, verhalten, benehmen sollte. Alles wurde natürlicher. Bis Ilse ein zweites Mal klopfte und fragte, ob die Kinder ein paar belegte Brötchen wollten. Simona musste ein Lachen unterdrücken, sie ahnte anhand Ilses nervöser Störaktionen, dass sie die erste Frau war, die nicht zur Familie gehörte und allein mit Johannes in dessen Zimmer war.
»Du, ich sollt dann langsam gehen«, flüsterte sie. »Aber ich hab eine Idee, ich hab mindestens drei alte Handys zu Hause, da kannst du gern eins haben, dann können wir uns in Zukunft besser koordinieren.«
Und Johannes, der Handys im Einklang mit dem Digamma-Klub bis dato als Untergang der Kommunikationskultur des Abendlandes betrachtet hatte, nickte selig.
[Doktor linguistikus, Notizbuch III]
[11.1.] Bevor ich auf weitere Kriege und Auseinandersetzungen eingehe, möchte ich davon erzählen, wie die Bergbarbaren das erste Mal in Kontakt mit der Wissenschaft gerieten. Wie ich mehrfach gelesen habe, wurden zur damaligen Zeit die Varianten der germanischen Sprache erforscht, die im Norden, im Osten und in den Alpen selbst gesprochen wurden. Dazu wurden Fragebogen verschickt, die die Dorfvolksschullehrer in ihren Dialekt übersetzt zurückschicken sollten. [11.2.] Was mich wenig verwundert, ist, daß St. Peter am Anger keinen Fragebogen zurückschickte, da die Bergbarbaren es als unmöglich betrachteten, die Laute, die sie artikulierten, als Buchstaben zu fassen. Wie ich aus meinem eigenen Kontakt mit jener Sprache berichten kann, ist dem auch heute noch so, als ein Beispiel kann ich den Vokal A nennen, der fast so dumpf wie ein O ausgesprochen wird, aber doch nicht dem Lautstand eines O gleichkommt. [11.3.] So mußte ein neugieriger Doktor linguistikus
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