Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
Familie zuliebe hatte sie von Anfang an Günther als Vater der Kinder angegeben, obwohl sie sich nicht sicher war. Aber nun entdeckte Maria ihre rebellische Seite. Es war eine Sache, wenn die Familie ihr vorschrieb, wie sie ihr Leben zu leben hatte, doch es war etwas anderes, wenn jetzt auch noch unschuldige Wildschweinbabys sterben mussten.
Maria blickte zu Günther, der die Fettrinde einer Speckschwarte kaute.
»Günther!«, sagte sie wütend, »sog du a wos!«
Günther starrte von seiner Speckschwarte auf, ohne diese aus der Hand zu legen. Er sah zur Tischmitte und kletzelte eine Flachse zwischen seinen Zähnen hervor. Marias Schwestern kicherten.
»Günther, erklär ihna, dass a Treibjagd brutal is! Oder tätst du wolln, dass mi jemand daschiaßt, kurz nachdem i de Kinder geboren hab, oder de Zwilling verkocht werdn, obwohl sie nu an meiner Brust hängan!«
Maria steigerte sich in solch eine Aufregung, dass sich ihr Bauch hob und senkte, als würden die Babys empört mitatmen. Maria räusperte sich zweimal, trat ihm gegen das Schienbein, dann sagte er in langsamen, schleppenden Silben:
»Milch moacht’s Fleisch voi zoart.«
Die Schwestern kuderten, die Mutter verbarg das Gesicht in den Handflächen, und sogar Opa Rettenstein, der mit Günther bezüglich des Inhalts seiner Aussage übereinstimmte, blickte betreten beiseite. Maria begann weder zu schreien noch zu heulen, sah bloß entsetzt jedem Mitglied ihrer Familie in die Augen und stützte sich an Banklehne und Tisch ab, um hochzukommen. Da die Tischkante dem großen Bauch im Weg war, dauerte es, bis sie aufgestanden war. Niemand sagte etwas, alle warteten, bis sie gegangen war, obwohl es im Hause Rettenstein verboten war, vor Ende der Abendjause aufzustehen. Beim Hinausgehen knallte Maria zum ersten Mal in ihrem Leben die Haustür ins Schloss.
»Hey Peppi, was ham a Gummi und a Sarg g’meinsam?«
Peppi rollte seine Stutzen zusammen und verknotete sie, während Robert Rossbrand breit grinsend im Türrahmen zur Umkleidekabine stand.
»In beiden liegt a Steifer?«, konterte Peppi und warf die Stutzen treffsicher in die fast zwei Quadratmeter große Waschtonne am Kabinenende. Spätabendluft strömte hinter Robert durch die geöffnete Kabinentür und brachte die durchgeschwitzten Sportsachen zum Dampfen.
»Owa woaßt, wos da Unterschied zwischen dem Steifen im Olla und dem Steifen im Holzpatschen is?« Robert hielt sich mit den Fingern am Türrahmen fest und schwang seinen Körper vor und zurück. »Woaßt eh, da ane kummt, da andre geht. Servas!«
Robert sprang grinsend und mit Elan Richtung Kabinengang. Peppi schüttelte den Kopf und knöpfte sich die Hose zu.
»Safety first!«, brüllte Robert zum Abschied, worauf die Außentür ins Schloss fiel und es still wurde.
»So a Spinner«, flüsterte Peppi und kramte in dem Toilettetascherl nach seinem Deodorant. Die anderen Fußballer waren bereits geduscht und auf dem Weg nach Hause, Peppi war wie immer der letzte. Er drehte an dem Plastikrädchen des Deodorantsticks, hob die rechte Achsel, hob die linke Achsel und trug zum Schluss ein Kreuz auf seiner Brust auf, dreimal der Länge nach, zweimal den Querbalken entlang. Er schlüpfte in ein sauberes T-Shirt, fädelte den Gürtel ein, schnappte sich seine Sporttasche, schloss die Kabinentür hinter sich ab und machte sich auf den Heimweg.
»Peppi?«
Peppi blieb stehen und lauschte in die Stille. Grillen zirpten, unaufgeregt plätscherte der Mitternfeldbach über die weißgespülten Steine ins Tal.
»Hey, Peppi, da bin i.«
Peppi stellte die Sporttasche auf den Kies und folgte der Stimme Richtung der Tribünen. Kaum dass er die kleine Kurve um den aufgeschütteten Hang genommen hatte, in den die Sitzreihen gebaut waren, entdeckte er den Schatten einer kleinen Person mit großem Bauch. Peppi lächelte und balancierte elegant auf dem schmalen Gehstreifen an den hochgeklappten Plastiksitzen der ersten Reihe vorbei.
»Maria, was machstn du da?«
Peppi drückte einen der schrill quietschenden Sitze neben ihr hinunter.
»Klaner Nachtspaziergang.« Marias Stimme klang schüchtern, und er merkte sofort, dass sie geweint hatte. Vorsichtig legte er seine Hand auf ihren Oberschenkel.
»Guat schaust aus«, flüsterte er ihr zu und wartete, dass sie lächelte. Maria antwortete bitter:
»Geh. I fühl mi wia a Walfisch, der wos a Regentonne verschluckt hat.«
»Des geht vorbei. Owa du weißt jo, mir g’fallt des, wenn deine Wangen so liab leuchten.«
Maria
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