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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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lassen, als wären sie frisch gewaschen und vom Wind geformt worden, waren verschwunden. Johannes kannte kein Glätteisen und war überrascht, dass ihre Haare plötzlich schnurgerade herunterhingen. Ihre Augen waren mit topasblauem Lidschatten, zwei Schichten Wimperntusche und etwas Perlmuttpuder betont. Simona ahnte nicht, dass ihre Versuche zu gefallen, Johannes im ersten Moment überforderten, und so war sie irritiert, als er zögerte einzutreten, griff ihn dann jedoch am Handgelenk, zog ihn hinein und ließ keinen Moment mehr vergehen, ihn zu küssen. Und die Küsse beruhigten Johannes. Obwohl sie plötzlich um zehn Jahre älter und reifer aussah, schmeckte sie, wie er sie kannte, nach stechend-süßem Erdbeerkaugummi. Sie ließen erst voneinander ab, als das Surren der Insekten, die durch die offen stehende Eingangstür an die grelle Halogenlampe des Entrees schwirrten, unüberhörbar wurde.
    Johannes kniete nieder und begann, seine Schnürsenkel aufzubinden.
    »Ach, lass die ruhig an«, sagte Simona, bevor er die Masche gelöst hatte.
    »Bist du sicher?«, fragte Johannes ungläubig. Im Hinterkopf hörte er Ilses Stimme, die zeternd darauf bestand, Schuhe würden vor Eintritt ins Haus ausgezogen.
    »Klar, ich mein, wieso willst du die ausziehen?«
    »Na ja, damit der Dreck von draußen nicht ins Haus kommt«, wiederholte Johannes, was ihm die Ilse-Stimme ins Ohr flüsterte.
    »Was für ein Dreck? Du kommst ja nicht aus’m Kuhstall, oder?«
    Bis auf das Entree, das dem Haus nordseitig als kleiner Vorsprung angebaut war, war das Untergeschoss ein einziger quadratischer Raum, dessen Mitte eine an Drahtseilen hängende Wendeltreppe entsprang. Kleine Halogenspots waren wie Sterne in die Decke eingelassen, und Simona zeigte Johannes stolz, wie man über einen Touchscreen deren Helligkeit steuern konnte. Die Einrichtung war angeordnet wie die Exponate eines Museums, dafür da, angesehen zu werden. Anders als bei den Irrweins, wo es nur um Gemütlichkeit ging. Vor einem L-förmigen, in die Wand eingelassenen Bücherregal verlangsamte Johannes seinen Schritt. Wie immer, wenn er Bücher entdeckte, unterlag er dem Drang, sie zu berühren. Er streckte die Hand aus, ließ die Finger über die harten Karton- und Leinenbände gleiten. Er kannte keinen der Titel, es handelte sich um Kunstdrucke in verschiedenen Formaten, Schriftzügen, Farben und Formen, die er noch nie zuvor gesehen hatte. An einem Bildband, dessen Rücken mit ionischen Säulen geschmückt war, blieb sein Blick hängen. Die schneckenförmigen Voluten und Eierstäbe seiner Griechen weckten ein heimeliges Gefühl in dieser sterilen Welt, doch als er das Buch herausziehen wollte, flitzte plötzlich etwas Weißes hinter den Büchern hervor, unter seinem Unterarm vorbei, woraufhin Johannes zurücksprang und seine Hand zurückzog, als hätte er sich verbrannt.
    Simona prustete los. »Entschuldige vielmals, das war die Bambi, eine meiner Mäuse. Wir haben hier fünf ehemalige Zirkusmäuse aus dem Tierheim, auf dem Land braucht man ja Haustiere. Putzis!«
    Johannes traute seinen Augen kaum, als drei weiße Mäuse aus diversen Winkeln angelaufen kamen. Simona kniete sich auf den Boden, ließ eine Maus auf ihre Handfläche hüpfen und streichelte ihr über den Kopf. Johannes schauderte bei dem Gedanken, eines dieser rosafarbenen, fleischigen Beinchen auf seiner Haut zu spüren, und hatte große Mühe, seinem Gesicht ein Lächeln abzuringen, als Simona mit der Zunge schnalzte und die Maus über ihren Arm via die Schulterblätter unter ihren Haaren hindurch den anderen Arm hinablief und sich auf die Handfläche setzte.
    Über die schwankende Wendeltreppe, die Johannes langsam erklomm, ging es schließlich ins Obergeschoss. Genau so farbenprächtig wie Simona war auch ihr Zimmer. Johannes war etwas gehemmt, mit seinen Schuhen den Teppichboden zu betreten, aber als er sie in ihren roten Lackballerinas durch das Zimmer tänzeln sah, schlussfolgerte er, dass die Nowaks eine Putzfrau haben mussten. Sie wies ihn an, sich auf ein dunkellila Sofa zu setzen, während sie orange-pinkfarbene Lavalampen anknipste. Johannes erschrak, als er zentimetertief einsackte, wie in einem Moor wurde er von der watteweichen Füllung aufgesogen.
    »Ich hol schnell was zu trinken und mach die DVD an, dann bin ich bei dir«, sagte Simona, schon wieder halb aus dem Zimmer. Johannes merkte, dass sie heute viel hektischer und unruhiger war als sonst, als hätte sie fünf Liter Espresso getrunken.

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