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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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zusammenbliebe, würde das den Macht- und Grundverteilungsplan der alten Herren auf Jahrzehnte durcheinanderbringen. Andererseits war er der Fußballstar von St.   Peter am Anger, bei den Bewohnern unendlich beliebt, und auch wenn Opa Rettenstein ihn verfluchte, musste er zugeben, dass Peppi ein wirklich anständiger Kerl war, auf den man sich verlassen konnte. So hatten sie also diskutiert, Pläne geschmiedet, Pläne verworfen und zwischen all ihren Verschwörungen war kein Schwein getötet worden – nur Opa Ebersberger hatte sich vor Wut seine Zehe blau gehauen. Opa Rossbrand hatte sich zehn Minuten danach noch die Hand verstaucht, als er, da ihnen zu allem Überfluss auch das Benzin ausgegangen war, gegen die Fensterscheibe des Jeeps geboxt hatte. Eine Signalpistole hatten sie zwar in Opa Rettensteins Auto gefunden, doch die hatte nur eine einzige Leuchtkugel, und diese war am Süd- und Osthang nicht zu sehen gewesen. Nur Johannes, am Westhang auf Simonas Balkon stehend, entdeckte den roten Stern, allerdings wusste er dieses Zeichen genauso wenig zu deuten wie jenes, das ihm Simona gegeben hatte.
    Liebe zivilisierte Freunde! Bei meinen vergleichenden Recherchen in den Domizilen der Barbaren und Zivilisierten habe ich herausgefunden: Einer der größten Unterschiede zwischen ihren Heimlebensweisen betrifft ihre Schuhe. Der Barbare legt, sobald er das Haus betritt, seine Schuhe ab. Wogegen der Zivilisierte seine Schuhe am Fuß behält. Das mag dem Betrachter vielleicht auf den ersten Blick unlogisch erscheinen, ist aber ganz leicht zu verstehen. Erstens hängt es damit zusammen, wo sich diese Völker bewegen; Barbaren waten durch Unrat und Schlamm. Zivilisierte hingegen wandeln auf Asphalt und hinterlassen dahingehend auch keine allzu schlimmen Spuren in ihren Wohnungen, wenn sie die Schuhe nicht ablegen. Der Barbare trägt in dem steten Bewußtsein über die Unwegbarkeiten, durch die er sich bewegt, zweckdienliches Schuhwerk, das auf seinen täglichen Wegen seiner Fußgesundheit dient. Die Zivilisierten jedoch, mehr gleitend als gehend, haben den Anspruch an ihre Fußbekleidungen, neben der zierlich-zivilisierten Fortbewegung vor allem einem ästhetischen Ideal zu genügen. Daher wäre es für Zivilisierte natürlich schade, im Haus auf den ästhetischen Genuß des schönen Schuhs verzichten zu müssen, wohingegen die Barbaren einen solchen ästhetischen Genuß gar nicht kennen und getrost, ohne je Mangel zu verspüren, wie ich mich durch eigenes Nachforschen versicherte, barbefußt durch ihre Behausungen laufen.
    Anmerkung: Ein Kuriosum zu ihren unterschiedlichen Lebensformen muß ich noch anfügen. Und zwar fiel mir bei Recherchen mit meinen eigenen Augen auf, daß sich die Tiere unterscheiden, die sie in ihren Häusern halten. Ich wurde nämlich Zeuge, wie Getier, welches bei Barbaren als Ungeziefer gilt (mus musculus domesticus), bei den Zivilisierten als treues Spiel- und Haustier geschätzt wird (mus musculus sapiens).
    Johannes erschrak, als sich der zweite Fensterflügel zum Balkon öffnete und Simona heraustrat. Er hatte sie gar nicht zurückkommen hören. »Hey«, flüsterte er ihr zu und streckte seinen Arm nach ihr aus. Simona wich einen Schritt zurück und stellte sich in die andere Ecke des Balkons. Sie hatte sich umgezogen. Statt des glänzenden Kleides trug sie eine Jogginghose und ein weites weißes T-Shirt mit Rundausschnitt. Ihre Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie sah an Johannes vorbei auf den Wald hinunter. In der Dunkelheit war es schwer zu sagen, wo die Bäume aufhörten und der Himmel begann. Johannes fühlte sich seltsam. Die Stimmung zwischen ihnen hatte sich plötzlich verändert, als wäre etwas passiert, obwohl ja nichts passiert war.
    »Johannes, sei mir nicht bös, aber ich bin voll müde und würd gern schlafen.«
    »O.   k.«, gab Johannes zurück, »aber der Film ist ja noch gar nicht zu Ende.«
    »Ist mir egal. Um den Film geht’s nicht. Ich hab Kopfweh, o.   k.?«
    »Klar, entschuldige.«
    Johannes verzichtete darauf, ihr einen Kuss zu geben. Er hatte doch nichts gemacht, und nun war sie so ruppig, dachte er und beeilte sich hinauszukommen. Vor der Haustür blieb er kurz stehen, aber Simona kam nicht hinterher. Und so schloss er die Tür.

[Rundfunk in St.   Peter, Notizbuch III]
    [12.1.] Wie ich schon berichtet habe, verhielt es sich so, daß jener Alfred Gerlitzen lange nach Kriegsende und vielfach ausgezehrt vom anderen Ende der Welt zurückkehrte. Die

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