Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
Simonas Zimmer war aufgeräumt, aber nicht ordentlich. Man sah ihre Bemühungen, es sauber aussehen zu lassen, doch in einer Polsterritze entdeckte Johannes eine Kolonie zerknüllter Taschentücher, die zusammen mit Haargummis ein Paralleluniversum gegründet hatten, ernährt von undefinierbaren Krümeln. Unter dem Schreibtisch lugten die in sich gekehrten Hosenbeine einer Jeans hervor, und vom Kleiderkasten herab schlang sich eine zu drei Viertel gewendete Strumpfhose. Simona kehrte mit einem Tablett zurück, auf dem zwei Gläser und eine selbst gemachte Sangria standen. Johannes merkte beim Kosten, dass sie es mit dem Rum etwas zu gut gemeint und die Gewürze wohl nach Farben ausgewählt hatte.
Auf den flachen Bildschirm des Fernsehers schob sich das Logo der Produktionsfirma, während sie sich küssten. Als der Werbeblock und die Warnung vor der Kriminalität des Raubkopierens beendet waren, machte Johannes Anstalten, das Küssen zu unterbrechen, um dem Film Aufmerksamkeit zu schenken. Simona rückte näher an ihn heran. Wenngleich Johannes nicht genug von ihrer Nähe bekommen konnte, wurde ihm bald schrecklich heiß. Es war ein sengender Tag gewesen, und die Bruthitze schob sich noch durch St. Peter am Anger. Die Balkontür stand zwar sperrangelweit offen, doch der schwache Luftzug konnte nicht verhindern, dass sich auf Johannes’ Brust, Hals und Stirn ein Schweißfilm bildete, der ihm unangenehmer wurde, je näher Simona ihm kam. Der Film begann, Johannes hatte keine Ahnung, worum es ging, da Simona ihn so eindringlich küsste, ihn auf sich zerrte, sich auf ihn wälzte. Johannes konnte sich auch nicht auf ihre Leidenschaft konzentrieren, da ihn die bewegten Bilder im Hintergrund, Dialogfetzen, Musik und ab und an das Rattern eines Maschinengewehrs ablenkten. Als sie kurz von seinen Lippen abließ, um seinen Hals zu küssen, fragte er sie, ob sie den Film ausmachen wollten, doch Simona hauchte, er solle sich nicht so anstellen.
Nach etwa einem Drittel des Filmes merkte Simona, dass Johannes einer überaus stillen Welt entsprang. Im Gegensatz zu ihr hatte er keine einzige Hausübung neben einem Fernseh- oder Radiogerät geschrieben, ihm fiel es schwer, sich trotz der Beschallung auf ihre Zweisamkeit zu konzentrieren. Sie seufzte und beschloss, die Taktik zu ändern.
»Hey«, flüsterte sie ihm ins Ohr, während sie sich rittlings auf ihn schwang und ihre Arme hinter seinem Nacken verschränkte. Johannes konnte sie gar nicht umarmen, er musste sich erst die Haare aus den Augen streichen und die Brille auf der Nase zurechtrücken.
»Ich muss mal kurz was bei Facebook nachschauen, aber komm doch nach und überprüf meinen Status.«
Mit diesem Wort biss sie ihn etwas zu fest ins Ohrläppchen, Johannes verzog die Nase, während Simona durch eine Schiebetür in den zweiten Teil des Zimmers verschwand, wo ihr Schlafbereich untergebracht war. Johannes streckte sich und massierte sein Kreuz, das vom Herumgewälze auf der hübschen, aber schrecklich unbequemen Couch schmerzte.
Im Schlafbereich knöpfte sich Simona das Kleid auf. Ihre Hände zitterten, und sie überlegte, wo sie eine Stoffschere hatte. Aus Angst, Johannes könnte zu früh hereinkommen, während sie ungraziös damit kämpfte, aus dem Kleid zu schlüpfen, bekam sie ganz nasse Finger, mit denen sie immer wieder von den Knöpfen abrutschte. Schließlich riss sie sich zwar den Nagel des linken Zeigefingers ein, bekam jedoch endlich das Kleid auf. Als sie mit ihrem BH ähnliche Schwierigkeiten hatte, schlüpfte sie mit den Armen unter den Trägern hindurch, drehte ihn um hundertachtzig Grad, sodass er bequem geöffnet werden konnte. Sie legte ihre Hand an den Bund ihres Tangas, überlegte kurz, ihn anzulassen, zog ihn dann aber mit einer eiligen Handbewegung bis über die Knie und ließ ihn zu Boden gleiten.
»Wenn schon, denn schon«, flüsterte Simona, legte sich aufs Bett und brachte sich in jene Pose, die sie im großen Spiegel des Elternschlafzimmers einstudiert hatte. Auf der Seite, leicht nach hinten gelehnt, sodass der Bauch gespannt war. Sie zupfte sich die Haare zurecht, bis ihre kleinen Brüste bedeckt waren, und legte einen Fuß über den anderen, um nicht vulgär auszusehen.
Johannes schüttelte indessen seine Arme und ging eine Runde durchs Zimmer. Neugierig, womit Simona zurzeit ihren Geist fütterte, warf er einen Blick auf ihren Schreibtisch. Sofort stach ihm ein schmales, hellblau aufblitzendes Licht ins Auge. Er schob eine schräg
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