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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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würden.
    Schuarl hatte unterschätzt, wie ermüdend es sein konnte, vom Wetterblick auf die leere Talstraße zu schauen, wo sich nichts veränderte. Er bemühte sich, nicht einzuschlafen, nickte aber immer wieder ein und träumte von wichtigen Aufgaben, die ihn zum Helden werden ließen. Sobald er wieder hochschreckte, fürchtete er, etwas Wichtiges verpasst zu haben, also funkte er seinen Lehrbuben an, ob schon Autos in St.   Peter seien, ob er jemanden übersehen habe, doch der Lehrbub beruhigte ihn. Da Franzl als Einziger im Dorf nichts weiter zu tun hatte, als zu warten, hatten sich die Dorfmädchen um ihn gruppiert und zeigten ihm ihre Outfits. Einige trugen Röcke, die sie knapp unter den Pobacken abgeschnitten hatten. Am Morgen hatte es noch einen heftigen Zickenkrieg gegeben, da sich alle beschuldigten, einander die Idee geklaut zu haben, doch schließlich versöhnten sie sich wieder und hofften, es würden genug hübsche Männer für alle kommen. Als Franzl Entwarnung funkte, atmete Schuarl zuerst erleichtert auf, aber dann schlug sein Alarmsinn an. Er selbst wäre mindestens um vier Uhr früh weggefahren, um sich den besten Platz bei solch einem Spiel zu sichern – und Schuarl konnte sich nicht vorstellen, dass die ganze Welt so viel unbeschwerter war als er selbst. Der Gemeindearbeiter sprang also in seinen Wagen und fuhr bergab. Und wie er es befürchtet hatte: Als wollte St.   Peter am Anger nicht gefunden werden, waren alle Schilder und Wegweiser, die an jeder Kreuzung, Weggabelung und freien Fläche angebracht worden waren, vom Erdboden verschluckt worden. Schuarl schaltete das Walkie-Talkie ein und funkte auf allen Kanälen:
    »NOOOOOOOTFALLLLLLLL!«
    Es war natürlich nicht der Erdboden gewesen, der die Schilder zum Verschwinden gebracht hatte, sondern der weiße Jeep von Opa Rettenstein, an dem der Holzanhänger von Opa Ebersberger angehängt worden war, um in ihn alle Wegweiser, mit Farbe besprühten Leintücher und Plakate, die die alten Herren auf ihrer Fahrt um halb fünf Uhr morgens zwischen St.   Peter und der Autobahnausfahrt Lenk im Angertal entdeckten, einzuladen. Den Holzanhänger hatten sie schließlich auf eine Wiese am entlegensten Teil des Westhanges gebracht und dort ein Feuerchen angezündet. Nun saßen sie nebeneinander auf der Kirchenstiege, strichen sich wohlgefällig über die Bäuche, massierten ihre künstlichen Hüften und rieben die Hände aneinander, während plötzlich Panik am Dorfplatz ausbrach, als der Gemeindearbeiterlehrling, der gelernt hatte, in Notsituationen ähnlich nervös zu werden wie Schuarl, laut brüllend angelaufen kam:
    »De Wegweiser! De Wegweiser sand weg!«
    Johannes stand gerade am Mehlspeisenbuffet der Mütterrunde und besserte die Preislisten aus. Die Damen hatten versucht, die von ihnen nur im Dialekt gebrauchten Namen der eigenkreierten Torten, Kuchen und Kekse in Hochsprache zu übersetzen, was so schlimm danebengegangen war, dass Johannes alle Mehlspeisen in ihren originalen dialektalen Namen ausschrieb: Er erhoffte sich von dem schmackhaft-alpinen Originalklang einen verkaufsfördernden Effekt. Als er die Schreie hörte, wurde er kreidebleich, Marianne Rettenstein drehte sich zu ihm und sagte mit zusammengekniffenen Augen:
    »Des woar mei Schwiegervater.« Johannes ahnte, dass sie recht hatte, antwortete jedoch:
    »Wir wollen niemanden zu Unrecht verurteilen«, wobei er mit einer Aktion in diesem Stil gerechnet hatte. In den letzten Wochen war es viel zu still um die alten Füchse gewesen, und da sie ihn noch immer nicht angeschossen hatten, hatte er befürchtet, dass noch etwas geschehen würde. Womit er allerdings nicht gerechnet hatte, war Marianne Rettensteins Reaktion. Wütend nahm sie ihre Kochschürze ab, zückte ihr Handy und aktivierte die Telefonkette der Mütterrunde:
    »Servas Angelika, Notfall Kategorie KBM, beim Mehlspeisbuffet.«
    Alle Gutmütigkeit war aus dem Gesicht der vierfachen Mutter gewichen, und Johannes bekam beinahe Angst, als sie zornig erklärte:
    »Johannes, wir ham seit acht Tag sechzehn Stund tägli Kuchn bockn. Wir lassn uns des scheene Buffet sicha net vo vier senile Trotteln zerstörn! Ka Sorg, wir kümmern uns um de Tattergreis.« Und mit diesen Worten zog die Mütterrunde gegen die vier wichtigsten Männer des Dorfes in den Krieg.
    Wie Johannes später herausfinden sollte, stand das Kürzel KBM für Kinderberuhigungsmittel, die die alte Frau Hohenzoller für die St.-Petri-Mütter in Tropfen-, Pulver- und

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