Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
Forscherbedarf entwendet, um sein Raumschiff zu konstruieren. Schläuche für Lösungen, Petri-Schalen, sogar der Ersatzwinkelrotor waren plötzlich wieder aufgetaucht – jedoch in Einzelteile zersprungen und von der Wucht des Aufpralls in den Überresten der Laborwand stecken geblieben. Als Ilse herangeeilt kam und dem Bruchpiloten um den Hals fiel, platzte Johannes endgültig der Kragen, und er packte Alois Irrwein am Schlawittchen, zog ihn in seine Ordination und hielt ihm eine zweistündige Standpredigt über die Verdorbenheit seines Verhaltens, die Sünde, teuren Laborbedarf zu stehlen, und die Torheit zu glauben, er käme mit solch einer Konstruktion von St. Peter bis zum Mond.
In sein Patientenjournal notierte er: Man könnte meinen, der Knabe Alois Irrwein wäre stumpfsinnig. Stellt man ihn ob seiner Untaten zur Rede, sitzt er da, sieht einen unter seinem borstigen Haar, das den Eindruck macht, als wäre es mit einer stumpfen Schere geschnitten worden, an, als wäre er sich keiner Schuld bewußt. Stellt man ihm Fragen, zuckt er frech mit den Schultern oder gibt nichtssagende einsilbige Antworten – vollkommen schwachsinniges Verhalten. Gegen eine nachweisliche Unterbemitteltheit spricht jedoch, daß er große organisatorische Raffinesse besitzt, Unheil anzurichten. Ganz zu schweigen von seiner sozial-manipulativen Kompetenz, bis anhin brave Kinder zum Unfug zu verführen.
Elisabeth, die umso sanfter wurde, je stärker sie von Lähmungen und Zitteranfällen geschwächt wurde, versuchte Johannes davon zu überzeugen, dass die Kollision zwischen Alois Irrwein und der Forschung auch Positives mit sich gebracht hatte. Zum einen baute der Zimmermannmeister Irrwein persönlich die zerstörte Wand wieder auf und übernahm kostenlos weitere Arbeiten, die zur Winterfestigkeit des Laboratoriums notwendig waren, zum anderen veranlasste das Schuldgefühl Ilse nun, mit Johannes zu sprechen. Bis auf ihre Sturheit und den schwarzen Lockenschopf war sie ihrer Mutter überaus ähnlich. Wenn sie miteinander zu Abend aßen und Ilse über die Ereignisse des Tages plapperte, verlor sich Johannes in der Erinnerung an seine eigene Jugend – und vor allem an die junge Elisabeth. Ilse war ihr wie ein schwarzhaariges Spiegelbild.
Dennoch ließ Johannes Gerlitzen seit diesem Vorfall keine Gelegenheit aus, sich über den jungen Alois aufzuregen. Er brauchte ihn nur vorüberspazieren sehen, schon kniff er die Augen zusammen und sagte in spitzem, anklagendem Ton:
»Der heckt schon wieder was aus.«
Obwohl Elisabeth die Antwort kannte, fragte sie immer wieder, woran er das festmachen würde.
»Diese Augen«, antwortete Johannes daraufhin, »man sieht an ihrem Glänzen die unheilvollen Ideen eines zukünftigen Terroristen!«
Oft rappelte sich Elisabeth daraufhin im Bett auf, um ihren Worten mehr Nachdruck zu verleihen:
»Geh, Hannes, du woarst jo selbst nia anderst.«
Doch auch darauf hatte er eine Antwort, die zugleich sein Hauptargument dafür war, Alois Irrwein auf jedem seiner Schritte zu misstrauen:
»Vielleicht. Ich war wahrscheinlich ein Strizzi, aber ich war zu keinem Zeitpunkt eine Gefährdung für die Jugend von St. Peter. Der kleine Irrwein jedoch, der gefährdet die Gesundheit unserer Kinder!«
Elisabeth antwortete darauf nicht mehr, sondern hustete stark. Ihr Zustand hatte sich in den letzten Monaten stetig verschlimmert, und Johannes fürchtete, dass sie nicht mehr lange durchhalten würde.
[Der Frauenraub, Notizbuch I]
[2.3.] Die Bergbarbaren behaupten, es seien die Zivilisierten gewesen, die die Urheber ihres Konfliktes wurden. Ich jedenfalls kann sagen, wie so oft in der Geschichte stand auch am Anfang dieses Zwistes eine Frau. Es wird nämlich berichtet, daß einst Handelsmänner der Zivilisierten durch Zufall in jene Bergbarbarensiedlung gekommen seien, als sie eine direkte Route durch die Sporzer Alpen gesucht hätten, um auf die Nordseite der Gletscher zu gelangen. [2.4.] Nun hätten sie dort ihre Waren feilgeboten und nach Beendigung ihrer Geschäftstätigkeit nicht nur ihr unverkauftes Gut mit sich genommen, sondern auch die Tochter des Dorfvorstehers. Kaum war ihr Fehlen bemerkt worden, machten sich einige der jungen Bergbarbaren ins Tal auf, um die Tochter des dortigen Regenten zu rauben, denn sie waren der Meinung, daß so ein Diebstahl nicht ungesühnt bleiben dürfe. Auf den geglückten Raub hin empörten sich die Zivilisierten und raubten eine weitere Bergbarbarin – die Bergbarbaren
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