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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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wiederum raubten eine der Zivilisierten, und dies gegenseitige Rauben setzte sich einige Jahre fort, was ich als überaus stupides Verhalten bezeichnen möchte. Schließlich aber hätten sich die Zivilisierten dermaßen empört, daß sie ein Heer zusammensammelten und gegen die Bergbarbaren ausrückten. Diese aber waren auf den steilen Hängen des Angerbergs kundiger und besiegten die Zivilisierten, die auf flachem Grund ihre Häuser hatten. [2.5.] Dies war der Beginn einer großen Feindschaft, da die Bergbarbaren ihnen den Angriff niemals verziehen und die Zivilisierten tiefen Zorn über die Niederlage empfanden. Die Zivilisierten jedoch sagen anderes über die Ursache der Auseinandersetzung. Die Tochter des Dorfvorstehers, so meinen sie, sei nämlich freiwillig mit den Händlern mitgegangen, da sie mit einem Stallknecht des Vaters verkehrt habe, und als sie bemerkte, schwanger zu sein, die Scham vor ihren Eltern und den Bergbarbaren habe verbergen wollen. Die Zivilisierten nämlich behaupten, daß eine Frau, die nicht geraubt werden will, sich auch nicht rauben läßt. Ich enthalte mich eines Kommentars darüber.

Im Mai
          
    Nach Johannes’ Rückkehr besserte sich Elisabeths Zustand für kurze Zeit, doch ihre Krankheit war unheilbar, was Johannes vor Ilse nie verhehlte. Und eines Morgens zu Ostern 1973 lag Elisabeth ganz kalt in ihrem Bett, nachdem ihr Körper nicht genug Kraft gehabt hatte, einen Herzanfall zu überstehen. Ilse war tapfer, und in seinem Schmerz war Johannes sehr stolz auf sie. Noch nie war ihm so bitter bewusst gewesen, dass es für manche Krankheiten keine Heilung gab.
    In den letzten Monaten, als Ilse und Johannes eine leise Ahnung bekamen, dass Elisabeth sie bald verlassen würde, hatten die beiden sehr viel Rücksicht auf sie genommen, ihr zuliebe nicht gestritten, und wenn, dann nur sehr leise. Nun jedoch gerieten sie regelmäßig aneinander, und als Ilse im Frühjahr 1974 in die Pubertät kam, herrschte Krieg im Hause Gerlitzen. Bilderrahmen fielen von den Wänden und Gegenstände gingen zu Bruch, wenn Ilse ihrer Wut Luft machte. Selbst wenn sie sich über das Wetter unterhielten, konnte daraus ein Streit werden, und da Johannes der jungen Ilse rhetorisch überlegen war, endeten ihre Streitereien meist damit, dass Ilse vor Wut irgendetwas kaputt machte. Am meisten geriet sie in Rage, wenn Johannes Gerlitzen ignorierte, dass sie recht hatte, und sie stattdessen ermahnte, Hochsprache zu sprechen:
    »Schön sprechen, Ilse, sonst kann ich dich nicht ernst nehmen.« Seit Jahren versuchte er, ihr den Dialekt abzugewöhnen, doch Ilse war nicht sonderlich sprachbegabt.
    In der Pubertät sind die Gefühle junger Menschen stärker als während aller anderen Lebensphasen, notierte Johannes Gerlitzen in sein Patientenjournal. Gefühle werden unbedingt erlebt, im Moment eines emotionalen Rausches wird der Pubertierende irrational, sieht weder Vergangenheit noch Gegenwart, wird vollends ergriffen von der Intensität seiner Wallungen, denen er ungeschützt ausgeliefert ist. Erstaunlich ist die Schwankungsbreite: Im einen Moment zum Himmel hoch jauchzend, im nächsten Moment zu Tode betrübt. Die Natur tut gut daran, diese Phase nur drei, vier Jahre andauern zu lassen. In solchen Gemütszuständen ist normal funktionierendes Leben in einer Gesellschaft nämlich unmöglich.
    Ein weiterer Jugendlicher, dessen Gefühle im Winter 1973/1974 unbedingt erwacht waren, war Alois Irrwein. Mittlerweile hatte er sämtliche Pläne für einen Mondflug aufgegeben und begonnen, das Zimmermannshandwerk der Familie zu erlernen. Der Geschwindigkeit, dem Reiz und dem Abenteuer hatte er jedoch nicht abgeschworen. Alois war seit Kurzem im Besitz eines Mopedführerscheins, und Johannes wartete täglich darauf, dass er sich den Hals brach.
    Jene Gefühle, die in Alois erwachten, galten der jungen Ilse, die er nicht mehr nur als Komplizin auf dem Weg zum Mond betrachtete. Von einem Tag auf den anderen hatte er ihren kleinen Busen entdeckt, die runden Hüften und sah plötzlich ein hübsches, reizendes Mädchen in ihr. Vor allem mochte er ihr Temperament. Wenn er abends fensterln ging und von Johannes Gerlitzen entdeckt wurde, lief er zwar davon, versteckte sich aber nahe dem Haus, um mitanzuhören, wie Ilses Stimme in die Höhe schnellte, wenn sie ihren Vater anbrüllte, er solle sich nicht in ihr Leben einmischen, er sei nie da gewesen, als sie ihn gebraucht habe, und er habe somit kein Recht, ihr vorzuschreiben, was

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