Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
um in sein Notizbuch zu notieren:
In anderen Teilen der Welt entwickeln sich die Dinge weiter, indem sie sich verändern. In St. Peter am Anger jedoch hat alles eine Kontinuität, und alles bleibt, wie es ist. Die Jugendlieben heiraten einander, der älteste Sohn übernimmt den Bauernhof der Eltern, seinen Erstgeborenen nennt er nach sich selbst, die älteste Tochter wird nach der Großmutter benannt, und nachdem die Ältesten gestorben sind, übernehmen die Kinder ihre Rollen im Dorf. Die Natur nimmt ihren Lauf, und alles bleibt, wie es immer war. Dieses Gesetz ist in St. Peter am Anger stärker als jeder Versuch, etwas dagegen zu unternehmen. Und manchmal muß sich der einzelne einfach fügen.
Der Hochzeitsreigen des Jahres 1982 begann am 8. Mai 1982 mit der Hochzeit des Großbauernsohnes Toni Rettenstein mit Marianne Ebersberger, die, weil sie die Tochter des Bürgermeisters war, darauf bestand, als Erste zu heiraten. Ihr Vater musste intensiv beim Pfarrer intervenieren, denn eigentlich hatten Hilde Arber und Erich Wildstrubel diesen Termin bereits reserviert. Nachdem der Pfarrer Hilde und Erich abgesagt hatte, hatte Hilde eine Woche lang vor Zorn geweint, doch sie bekam ihre Rache, denn am 8. Mai 1982 goss es wie aus Kübeln. Am 15. Mai 1982 gaben Peter Parseier und Edeltraud Hochschwab einander das Jawort, und Edeltraud sollte es ihrem Vater, dem Lebensmittelgreißler und reichsten Mann des Dorfes, fünf Jahre lang übelnehmen, dass er bei ihrem Hochzeitsbankett gegeizt hatte. In seiner Sparsamkeit hatte Herr Hochschwab lediglich Würstel und Saft auf die Speisekarte setzen lassen. Am 22. Mai heirateten schließlich Hilde Arber und Erich Wildstrubel, und Hilde bekam nicht nur strahlenden Sonnenschein, sondern auch einen Sonnenbrand, da sie, um Marianne eins auszuwischen, das Festbankett kurzfristig ins Freie hatte verlegen lassen. Unvorteilhafterweise deckte der Schleier von Hilde Wildstrubel einen Teil der Stirn ab, und so erinnerte, noch lange nachdem der Sonnenbrand abgeklungen war, ein weißes Dreieck auf ihrer Stirn an die eigene Hochzeit. Am 29. Mai war das Pfingstwochenende, weswegen keine Hochzeiten stattfinden konnten und der Wirt das Wirtshaus geschlossen hielt, sodass seine Kellnerinnen ihre geschwollenen Knöchel kurieren konnten. Der 5. Juni war der Hochzeitstag der jungen Friseuse Angelika Ötsch und des Briefträgers Reinhard Rossbrand, wobei Letzterer jedoch nicht viel von seinem großen Tag mitbekam, nachdem ihn Angelikas drei Brüder am Vortag so abgefüllt hatten, dass ihm einer der Ministranten das Eheversprechen einflüstern und ihm ein anderer per Handzeichen signalisieren musste, wann er aufstehen, sich setzen, sich hinknien und Ja sagen musste. Für Aufsehen bei der Hochzeit von Automechaniker Richard Patscherkofel und der Kellnerin Gertrude Millstädt am 12. Juni sorgte wiederum die Braut selbst, die während der Predigt aufsprang und sich in der Sakristei ins Weihwasserbecken übergab. Sie behauptete zwar im Nachhinein, ihr Kleid sei zu eng gewesen, doch da in St. Peter am Anger alle Nachbarn waren, wusste man, dass die Braut am Vorabend zu viel getrunken hatte, nachdem man ihr wie allen anderen Bräuten einen großen Torbogen mit Reisig vor die Tür gestellt hatte, den sogenannten Schwellbogen.
Zähneknirschend und nach einer halben Flasche Kognak zum Frühstück führte Johannes Gerlitzen schließlich am 19. Juni 1982 seine Tochter Ilse zum Altar. Er weigerte sich beim anschließenden Bankett im Wirtshaus eine Rede zu halten, und nach dem Essen ging er nach Hause, um den restlichen Kognak zu trinken. Ilse war darüber sehr traurig, vor allem da Alois den ganzen Tag lang keinen Tropfen Alkohol anrührte, um zu beweisen, dass er ein guter Ehemann sein wollte. Um Mitternacht wurde beim Kranzerltanz Ilses Brautschleier abgenommen, und die Dorffrauen setzten ihr, wie es die Tradition wollte, ein Kopftuch auf, das signalisierte, dass der Hochzeitstag vorbei und sie von jetzt an Hausfrau war, woraufhin Alois sich gleich vier Bier hintereinander genehmigte. Am 26. Juni fand die letzte Hochzeit statt, und nach der Sonntagsmesse des Folgetages begab sich der Pfarrer mit seiner Köchin für eine Woche auf Schweigexerzitien in eine abgeschiedene Berghütte, um sich vom intensivsten Trauungs-Marathon seiner Amtszeit zu erholen.
Nachdem aus Ilse Gerlitzen eine Ilse Irrwein geworden war, kühlte das Verhältnis zwischen Ilse und Johannes merklich ab. Johannes
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