Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
Frauen verheiratet. [3.2.] Weiters lehrten die Mönche, daß es nicht notwendig sei, dem Gott ein Tier zu opfern oder bei Vollmond nackt um die Kirche zu tanzen. Es gab jedoch auch heidnische Bräuche, die sie ihnen nicht auszutreiben vermochten, und so wurden diese christianisiert. Wie ich aus eigener Anschauung berichten kann, wird eines dieser Feste heute noch gefeiert – es trägt den Namen Sonnwendfeuer. [3.3.] Nun will ich noch kurz künden, wie es dazu kam, daß jenes Dorf den Namen St. Peter am Anger erhielt. Der Anger war in der Sprache der Bergbarbaren jenes Plateau auf dem Gipfel, um das sie ihre Hütten erbaut hatten und in dessen Mitte das Vieh weidete. Den heiligen Peter legten die Mönche den Bergbarbaren mithilfe einer Stelle des Matthäusevangeliums ans Herz, wo Jesus zu Petrus sagte: »Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.« Das gefiel den Bergbarbaren, denn auch sie wohnten auf einem Felsen, auf dem nun eine Kirche gebaut wurde, und der Kampf gegen den Teufel war ihnen ebenfalls sehr wichtig. Und so wurde, soweit ich das rekonstruieren kann, der unorganisierte Haufen der Bergbarbaren zu einem Dorf mit jenem Namen strukturiert, den es auch heute noch trägt.
Ein neuer Bürger für St. Peter
Ob Hormonpräparate, Alpenkräuterwickel, Fruchtbarkeitstees oder der Umzug – eine dieser Maßnahmen musste geholfen haben, denn im Frühjahr 1992 war Ilse Irrwein, vormals Gerlitzen, schwanger. Ilse hatte so lange damit gekämpft, schwanger zu werden, dass sie ab dem ersten Tag des neunten Monats das Pressen trainierte und in ungeduldiger Erwartung eine jede Blähung für eine Wehe hielt. Johannes Gerlitzen, der sich seit dem ersten Ultraschall auf sein Großvaterdasein freute, war bald von Ilses Daueralarmzustand genervt. Man sollte meinen, Frauen könnten zwischen den Vorgängen der Mutterschaft und der Verdauung unterscheiden, notierte er in sein Patientenjournal und bat seine neue Ordinationsgehilfin Ingrid, Ilse nur dann in die Ordination zu lassen, wenn diese vor Wehen nicht mehr gerade gehen könne. Auch wenn Johannes Gerlitzen Ingrid mehrmals mit dem Rauswurf drohte, führte die resolute Mittvierzigerin die Ordination nach ihrem Geschmack und dachte nicht daran, Ilse am Betreten der Praxis zu hindern. Ingrid war eine der Hauptaktivistinnen des St.-Petri-Klatschvereins und hatte leidenschaftlich an den zehn Jahre lang andauernden Diskussionen über Ilses nicht eintretende Schwangerschaft teilgenommen. Wie jede St. Petrianerin hatte sie Mitleid mit Ilse, die erst so spät Mutter wurde und so viele Aktivitäten der Mütterrunde in den letzten Jahren verpasst hatte.
Am 9. Oktober 1992 ärgerte sich Johannes mehr noch als sonst über seine Arzthelferin.
Johannes liebte seine Tochter, und er führte es auf das viel zu warme Herbstwetter zurück, dass Ilse an diesem Tag unerträglich war. Es war Freitag, drei Tage nach dem errechneten Geburtstermin, und Ilse, von Ingrid vorgelassen, verlangte beinah kreischend, dass Johannes ihr wehenfördernde Medikamente verabreichte, um das Kind rechtzeitig vor der Sonntagsmesse auf die Welt zu holen. Johannes schüttelte den Kopf und zupfte verärgert an den Blättern der Topfplanze, die Ingrid, ohne ihn zu fragen, neben seinem Schreibtisch aufgestellt hatte. Er entsorgte täglich Injektionsreste zwischen den Hydrokulturperlen, in der Hoffnung, das Grünzeug zum Verenden zu bringen. Ilse ließ sich nicht abwimmeln. Sie war aufgebracht, da Angelika Rossbrand den Geburtstermin für ihr zweites Kind und Marianne Rettenstein den Geburtstermin für ihr drittes Kind jeweils nach ihr gehabt hätten – Angelika hatte jedoch schon vor einer Woche entbunden, und Marianne lag seit dem frühen Morgen in den Wehen. Für Johannes, der drei abgerissene Blätter in seiner Faust zerknüllte, hörten sich Ilses Schilderungen so an, als wäre Kinderkriegen ein Wettrennen. Er kniff die Augen hinter seiner Halbmondbrille zusammen und vermerkte Ilses Gewicht in ihrem gelben Mutter-Kind-Pass.
»Woaßt du, wia deppert des is, so hochschwanger zum Sein? I schau aus wia a Walfisch, meine Knie sand g’schwolln, mir passt ka G’wand mehr, und i hab seit ewig meine Füß nimmer g’sehn.« Demonstrativ klappte Johannes den Mutter-Kind-Pass zusammen und reichte ihn Ilse.
»Nur wegen einer Woche überfällig so starke Medikamente zu verschreiben, wäre medizinisch nicht
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