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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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Natur liebte. Johannes sehnte sich nach Harmonie, er hatte es satt, ständig mit dem wichtigsten Menschen in seinem Leben zu streiten. Ilse wiederum vermutete, ihr Vater sei so weit in der Welt der Würmer versunken, dass die einzige Möglichkeit zur Fortpflanzung, an die er dachte, eine war, die durch das Ausscheiden von Eiern geschah. Doch nach einiger Zeit wurde es Alois lästig, Ilse nur in Selchkammern, auf dem Forststand und in Heustadln zu treffen. Vor allem, nachdem ihnen eines Spätnachmittags im September 1981 die Kaunergrat’schen Zwillingsburschen die Kleider gestohlen hatten, woraufhin Alois in einem alten Erdäpfelsack durch das Dorf hatte huschen müssen, um Ilse etwas zum Anziehen zu besorgen. Als Alois eine Woche später Rötungen auf seinem Körper entdeckte, die scheußlich zu jucken begannen, und ihm das alte Kräuterweiblein Hohenzoller diagnostizierte, dass jener Erdäpfelsack, über den das ganze Dorf gelacht hatte, voller Wanzen gewesen sei – weswegen das ganze Dorf noch mehr lachte –, fasste er den Entschluss, dass die Heimlichtuerei ein Ende haben musste. Johannes Gerlitzen vermerkte indessen in seinem Notizbuch:
    Es ist schon eigenartig, daß Ilse gegen eines der stärksten Naturgesetze, gegen die natürliche Selektion, immun zu sein scheint. Alois Irrwein ist weder schön noch klug, noch verfügt er über irgendeine andere Qualität, die ihn auszeichnet. Alles, was er besser als alle anderen kann, ist trinken, das Dorf terrorisieren und Unruhe stiften. Doch ich vertraue darauf, daß Ilse dieses bald selbst erkennen wird. Irgendwann später wird sie sich fortpflanzen wollen, und ich bin mir sicher, daß ihr die Natur dann zeigen wird, daß Alois ein gänzlich ungeeigneter Vater für ihre Nachkommen ist.
    An einem Freitag Ende September 1981, nachdem der Juckreiz aufgehört hatte und die vom Kratzen entstandenen Wunden einigermaßen abgeheilt waren, spazierte Alois Irrwein zum Haus der Gerlitzens, obwohl er wusste, dass Ilse beim Jungschargruppenleiterinnentreffen war. Alois klopfte gut eine halbe Stunde an die Tür, bis Johannes Gerlitzen ihm öffnete. Natürlich bat dieser ihn nicht herein, grüßte ihn auch nicht, doch Alois ließ sich nicht davon stören, sondern kam gleich zur Sache:
    »Herr Doktor, derf i de Ilse heiratn?«
    »Natürlich nicht!«, brüllte Johannes Gerlitzen so laut, dass man ihn bis zum Dorfplatz hörte, bevor er die Tür ins Schloss knallte. Alois Irrwein hatte sein Leben lang zu allem, was er tun wollte, ein Nein bekommen. Er war mit dem Nein besser vertraut als mit dem Ja, also lief er sofort zum Café Moni, wo die Jungschargruppenleiterinnen überlegten, welche christlichen Folklorelieder sie mit den Kindern für das Erntedankfest einstudieren sollten, und obwohl Männer bei solchen Treffen nicht erlaubt waren, stürmte er das kleine Hinterzimmer, fiel auf die Knie und zückte den Ring, den er von seinem bisschen Ersparten gekauft hatte. Inbrünstig und etwas außer Atem fragte er:
    »Ilse, wüllst du mei Frau werdn?«
    Der Ring war schlicht, Alois’ Haar ungebürstet, vom Herlaufen schwitzte er, doch Ilse stürzte sich augenblicklich auf ihn, herzte ihn, küsste ihn und sagte laut Ja. Lange verweilte sie mit den Armen um seinen Hals und genoss die neidischen Blicke der Freundinnen in ihrem Rücken – auch wenn sie die Letzte gewesen war, die einen Freund gehabt hatte, Ilse war die Erste, die verlobt war.
    Die Verlobung von Alois und Ilse setzte eine Kettenreaktion weiterer Verlobungen in Gange. Peter Parseier, der zwar aus dem Nachbardorf stammte, aber schon seit einigen Jahren in St.   Peter am Anger lebte, weil ihn der Lebensmittlergreißler Hochschwab als Geschäftsführer angestellt hatte, erwies sich als der schlaueste junge Mann im heiratsfähigen Alter. Er fuhr bereits am Tag nach der Verlobung von Alois und Ilse ins Tal, kaufte einen Ring und kniete vor Edeltraud Hochschwab nieder, die sofort Ja sagte, denn der Ring war mit einem funkelnden Stein besetzt. Bisher hatte Edeltraud Hochschwab nie großes Interesse an dem Angestellten des Vaters gezeigt, obwohl Peter Parseier lange um sie geworben hatte. Peter war jedoch ein überaus kluger Bursche, und er hatte verstanden, dass Verlobung, Heiraten und Kinderkriegen bei den St.-Petri-Frauen ein Wettkampf war. Glücklich spazierte er durch die Lebensmittelgreißlerei, die bald seine eigene sein würde, während Edeltraud im Dorf herumlief, um allen ihren schönen Ring zu zeigen, der viel heller funkelte

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