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Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)

Titel: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vea Kaiser
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zu lassen und nicht allein auf das Werk der Hebamme zu vertrauen. Und auch in Alois’ Augen war der Doktor – trotz aller Differenzen – unbestritten ein guter Arzt und vor allem seriöser als Frau Trogkofel. Schließlich war sie die Mutter von Schuarl Trogkofel, der zwei Klassen unter Alois zur Schule gegangen war. Als Alois durch St.   Peter am Anger hetzte, fragte er sich, ob ihn der Herrgott strafen wollte. Er, der Anführer der legendären Maibaumräuberbande, auf deren Konto noch viel mehr Schabernack ging, konnte gar nicht so weit zählen, um all die Streiche und Scherze zu erinnern, die er Schuarl gespielt hatte. Schuarl war St.   Peters erster Gemeindearbeiter, und er nahm seinen Beruf in Alois’ Augen viel zu ernst. Wenn ein Baum ein Blatt verlor, war das für Schuarl ein Notfall, bei dem er die Warnlampe auf seinem Auto anknipste. Verlor ein Baum zwei Blätter, schaltete er sogar eine Sirene dazu. Da musste man ihm ja hin und wieder ein Schweinebaucherl verpassen, fand Alois. Doch zu Alois’ großem Glück waren der Hebamme all die Kränkungen ihres geliebten Burlis nicht präsent, als ein verschwitzter Alois Irrwein spärlich bekleidet herbeigelaufen kam und sie um drei viertel zwölf aus dem Bett läutete. Schuarl, der nie von zu Hause ausziehen würde, war für einen Notfall ausgerückt – ein Ziegelstein des Volksschuldaches hatte gewackelt. Wäre er zu Hause gewesen, hätte er dem fiesen Alois sicherlich nicht die Tür geöffnet, aber Frau Trogkofel war zu schlaftrunken, um die Feindschaften ihres Sohnes zu bedenken, und so starrte sie Alois hinter ihren dicken Brillengläsern an, notdürftig in einen ausgewaschenen Frotteebademantel gewickelt.
    »De Ilse kriegt s’Kind!«, haspelte Alois hektisch heraus, woraufhin die Hebamme ihre Notfalltasche packte, die griffbereit neben dem Keramikschirmständer in Hundeform stand. Sie drückte sie Alois in die Hand und verlangte nach seinem Auto.
    »Oder glaubst, i geh z’Fuß?«
    Für die Hebamme war es der größte Triumph in ihrer Geburtshelferinnenlaufbahn, sich hinter Ilse Irrwein, vormals Gerlitzen, zu setzen, ihren Rücken zu stützen, ihr Kommandos zu geben und Alois zum Kaffeekochen, Handtücherholen und Wasserheißmachen zu schicken. Frau Trogkofel hatte bereits Ilse Gerlitzen auf die Welt geholt, ohne dass Johannes Gerlitzen sich auch nur kurz im Zimmer hatte blicken lassen, doch kaum war er aus der Stadt zurückgekehrt, benahm er sich, als stünde er an der Spitze der Nahrungskette. Aus dem Schlafzimmer verbannt, ging Alois in den Keller, holte eine Flasche Schnaps, setzte sich auf die Holzbank vor dem Haus und begann zu beten, die Hebamme möge die Kränkungen ihres Sohnes nicht an seiner Frau und seinem Kind rächen. Insgeheim trank Alois nicht nur gegen seine Nervosität an, sondern auch gegen das ständige Verlangen, seinen Schwiegervater zu holen.
    Der Morgen des 20.   Oktober 1992 war herbstrauchig, nicht neblig, und Alois Irrwein saß wie festgewachsen auf der Holzbank vor dem Haus, die Dopplerflasche Adlitzbeere gut umklammert. Der Schnaps war selbst gebrannt, durchsichtiger als Quellwasser, die Flasche klar, und der Dichtungsverschluss, der an einer Metallspange um den Hals befestigt war, schlug gegen das Weißglas, wenn Alois anhob, um zu trinken. Im Schlafzimmer schrie Ilse Irrwein im Siebenminutentakt. Ilse war schon immer eine laute Frau gewesen, sie war nicht umsonst Solistin im Kirchenchor. Aber dass sie über solch ein Stimmorgan verfügte, hatte Alois in den zehn Jahren ihrer Ehe nicht bemerkt. Obwohl Ilse beschlossen hatte, dieses Kind ohne die Hilfe ihres Vaters auf die Welt zu bringen, wünschte sie sich gegen Mittag, als sie seit dreizehn Stunden in den Wehen lag, den Doktor herbei. Die Hebamme sagte zwar, alles sei in Ordnung, die erste Geburt dauere eben, doch in Ilses Unterbauch fühlte sich nichts in Ordnung an. Vielmehr hatte sie das Gefühl, ihr Kind wehrte sich mit Händen und Füßen, in diese Welt zu rutschen. Nach fünfzehn Stunden schmerzhaften Ziehens im Unterleib fragte sie sich sogar, ob ihr Vater recht gehabt hatte, ob es ein Fehler gewesen war, ihr Kind mit wehenfördernden Arzneien zur Geburt zu zwingen, ob sie sich nicht besser hätte gedulden sollen. Nach sechzehn Stunden Wehen schrie sie schließlich das erste Mal nach ihrem Vater. Die Hebamme tat, als hätte sie nichts gehört. Nach siebzehn Stunden verlangte sie: »Bitte, i brauch an Doktor, i brauch mein Papa«, aber die Hebamme gab nicht auf.

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