Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
winkte von Weitem. Auch ihre beiden Töchter winkten und stritten sogleich darum, wer den Kinderwagen mit der frischgeborenen Schwester schieben durfte. Ilse seufzte. Sie wollte nicht schon wieder hören:
»Na so lang wia dei Butzerl im Bauch is, wird’s jo sicha a Riesenbutzerl!«
Marianne steuerte den Kinderwagen auf Ilse zu, Ilse drehte sich auf den Fersen um und ging, so schnell sie konnte, ins Haus. Kaum hatte sie sich in Sicherheit gebracht, entschied sie, sich wehenfördernde Mittel zu besorgen. Und wenn der Doktor Vater ihr nichts verschreiben wollte, dann musste sie sich eben an eine andere Quelle wenden. In der Mütterrunde hatte man ihr erzählt, Frau Hohenzoller, das Kräuterweiblein des Dorfes, hätte eine spezielle Tinktur aus Rizinusöl und Alpenstrauchwurzeln. Ilse beschloss, der Alten einen Besuch abzustatten. Erst vor zwei Nächten war eine große Stelle Bindegewebe ihres Bauches mit lautem Knall gerissen. Es war an der Zeit, diesem Kind zu zeigen, wie sehr es erwartet wurde.
Am 19. Oktober flackerte im Wohnzimmer der Irrweins nur das weißlich blaue Licht des Fernsehers, beschien Teile des Raumes und ließ den Rest in Dunkelheit versinken. Alois saß, den Rücken tief in der Wohnzimmercouch vergraben, ohne Hose und mit den Füßen auf dem Sofatisch, vis-à-vis des Fernsehers. Eine Bierdose balancierte auf seinem Kugelbauch, aus der er langsam und genüsslich trank. Das Bier schäumte, sodass das Prickeln der Kohlensäure auf seiner Zunge tanzte. Ilse schlief bereits, dennoch zuckte er zusammen, wenn er ein Geräusch hörte, und machte sich bereit, die Füße auf den Boden zu stellen und die Bierdose hinter der Couch zu verbergen. Seit Ilse in freudiger Erwartung war, übte sie das Erziehen an ihrem Ehemann:
»Füß vom Tisch owi!« – »Glasln gibt’s, damit man’s verwendt!« – »Teller in den G’schirrspüler!« – »Ellbogen vom Tisch owi!« – »Rücken grad und solche Filme sicha net!«
Alois hoffte, nach der Geburt würden sich ihre Erziehungsgelüste auf das Kind konzentrieren, andererseits brachte ihm die Schwangerschaft den Vorteil, dass Ilse früh müde wurde. In den drei bis vier Stunden, die er nun für sich hatte, entspannte er sich in einem unbekannten Ausmaß, vor allem seit einer der beiden in St. Peter empfangbaren Fernsehsender spätabends brutale, handlungsreiche Filme zeigte. Besonders für das Genre des Science-Fiction-Films hatte Alois eine Vorliebe. Lief ein actionreicher Alienfilm im Fernsehen, dachte Alois nicht einmal daran, ins Wirtshaus zu gehen.
In dieser Nacht vom 19. auf den 20. Oktober 1992 beobachtete Alois den Kampf der Welten. Grüne faserige Aliens mit quadratischen Raumschiffen gegen weiße schleimige Aliens mit dreieckigen Raumschiffen. Dem Zimmermann tat das Herz weh, das waren ja unmögliche Konstruktionen, überlegte er und erklärte der Plastikpalme neben der Couch, dass diese Hollywoodproduzenten besser ihn gefragt hätten, wie man so ein Raumschiff baute, damit die Insassen nicht die ganze Zeit gebückt herumgehen mussten. Gerade ließ sich einer der Helden widerstandslos gefangen nehmen, und Alois dachte kopfschüttelnd, dass Ilse einen anständigeren Kinnhaken austeilen könnte. Alois hob die Bierdose, um auf seine eigene Schlagtechnik zu trinken – gegen ihn hätten solche Außerirdische keine Chance –, in diesem Moment ertönte ein lauter Schrei aus dem Obergeschoss:
»Loisl! Loisl! Es kummt!«
Alois erschrak, sprang auf, das Bier quoll über und die Dose kippte um, kaum dass er sie abgesetzt hatte. So schnell er konnte, rannte er nach oben. Ilse kniete im Ehebett, fest in einen Berg aus sämtlichen Polstern gekrallt, die im Schlafzimmer zu finden waren. Anhand der Selbstverständlichkeit, mit der sich Ilse in den Vierfüßlerstand begeben hatte, schloss Alois, sein Kind käme nun wirklich – dieser Anblick Ilses hatte etwas zutiefst Natürliches, Urweibliches. Alois war von einer plötzlichen Ehrfurcht gepackt, kniete sich am Bettrand nieder und ergriff ihre Hand:
»Ilse, tua pressn oder so was.«
»Loisl, schleich di und hol Hilfe!«, brüllte Ilse mit schmerzverzerrtem Gesicht. »Sofurt!«
Alois sprang wieder auf, doch kurz bevor er aus der Haustür war, erreichte ihn Ilses Schrei:
»Und hol d’Hebamm, net mein Vata!«
Ohne nachzufragen, rannte Alois durch das spätabendliche, großteils schlafende St. Peter. In den letzten Jahren war es auf dem Angerberg in Mode gekommen, ein Kind vom Arzt auf die Welt holen
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