Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
Endhaltestelle Stadtzentrum , wo inmitten der barocken Häuserfassaden fünf Busbahnsteige von restaurierten Jugendstil-Wartehäuschen bewacht wurden. An vier der Busbahnsteige hielten die Niederflur-Stadtbusse. Am äußersten, wo die Sitzbank des Wartehäuschens Vandalen zum Opfer gefallen war und Randalierer ihre Schmierereien hinterlassen hatten, hielten die Busse in die umliegende Bergwelt. Zu Mittag brachte der Postbus die St.-Petri-Hauptschüler wieder nach Hause, doch Johannes nahm stets den letzten Bus des Tages, der um 18 : 30 Uhr abfuhr und in welchem er meist der einzige Passagier war.
Das Benediktinerkloster und sein Gymnasium waren für ihn ein Hort der Wunder. Oft stand Johannes vor dem Kupferstich in der Aula des Osttraktes, in welchem die Schule untergebracht war. Die verschiedenen Trakte des Klosters, die die Kirche umgaben, waren auf der dreimannshohen Grafik gut erkennbar, dennoch wusste Johannes, dass man als Betrachter nicht einmal ein Fünftel all der Gänge sehen oder nur erahnen konnte, die die meterdicken Wände des alten Gebäudes wie Arterien durchzogen. Es gab im Kloster auch nur einen Mann, der sie alle zu kennen schien, den Subprior. Der Subprior war eigentlich der wichtigste Mann des Klosters, da er als leitender Geschäftsführer die Hoheit über alle Entscheidungen besaß. Er war jedoch selten an seinem Schreibtisch anzutreffen, denn der Klosteruniversalschlüsselbund, den er hütete, ermöglichte ihm Zugang zu jeder der verborgenen Tapetentüren und jedem der unsichtbaren Eingänge in scheinbaren Bücherregalen. In seinem ersten Schuljahr hatte Johannes lernen müssen, nicht jedes Mal aufzuschrecken, wenn plötzlich ein Bild am Schulgang zur Seite schwang und aus dem dahinterliegenden Loch in der Wand der Subprior auftauchte, um mit den Schülern ein Schwätzchen zu halten. Johannes war davon begeistert, da diese Welt ganz anders war als jene von St. Peter, wo es keine Geheimnisse zu geben schien und ein jeder Weg offenlag. Besonders faszinierte Johannes der Statuengarten im Prälatenhof, dem Haupthof der Schule, wo bei Schönwetter die Schulversammlungen abgehalten wurden. Das Kloster hatte sechs Innenhöfe, und bis auf den Prälatenhof war jeder erfüllt vom Echo eines Springbrunnens. Im Wirtschaftshof gab es einen kleinen Brunnen mit Trinkwasser, wie im Pausenhof der Schule, der zur Hälfte Hartplatz war, wo die Burschen Fußball spielten. Im Torwartlhof gab es eine barocke Figurengruppe, auf deren Köpfe das Wasser tropfte und die von Buchsbäumen umgeben war. Im Kreuzgang, den nur die Mönche betreten durften, befand sich in der Mitte eine Zisterne, an der meditiert wurde, und das Rosengärtlein, um das herum die Klosterbibliothek lag, hatte zwar keinen Springbrunnen, aber eine automatische Bewässerungsanlage. Johannes liebte den Prälatenhof für seine durchdringende Stille. Der Hof war mit Kies ausgestreut, durch den sich in Bögen ein Kopfsteinpflasterweg pflügte, zu dessen Seiten die Statuen standen. Sie stammten aus allen Epochen, Zeiten und Gegenden. In einer Reihe standen die zwölf Apostel, ihnen gegenüber die Propheten. Es gab etliche griechisch inspirierte Statuen, die aber nicht mit Plaketten versehen waren. Pater Tobias hatte ihm verraten, dass es sich um altgriechische Gottheiten handelte. Ebenso waren von den Kaiserbesuchen noch einige Herrscherstatuen übrig geblieben, die man bei der letzten Generalrestauration nicht berücksichtigt hatte. Doch die größte und für den jungen Schüler beeindruckendste Statue war die des namenlosen Engels, der einsam am Kopfende des Hofes stand. Der Engel war mit seinen mächtigen Flügeln leicht nach vorne gebeugt, so als würde er jeden Moment abheben. Das Gewicht war auf das rechte Bein verlagert, Brüste und ein weicher Bauch zeichneten sich deutlich unter dem Gewand ab, und was Johannes besonders beeindruckte: Die Flügel schienen so erhaben und groß im Vergleich zum Rest des Körpers, dass der Engel wohl nur deshalb so aufrecht stehen konnte, weil er sich über die Gesetze der Statik hinwegsetzte.
Nicht nur das Kloster war für Johannes ein magischer Anziehungspunkt, auch das Gymnasium versetzte ihn Tag für Tag in Staunen. Johannes war sich sicher, dass sogar Doktor Opa anerkennend mit dem Kopf genickt hätte, hätte er die naturwissenschaftliche Ausstattung begutachtet. Es gab einen Physiksaal, an dessen Wänden diverse Generatoren, Stromaggregate und Beschleuniger in raumhohen Glasvitrinen verschlossen
Weitere Kostenlose Bücher