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Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Titel: Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gsella
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der gute Mensch, während er dem Mann die Packung Drum Halfzware reichte. »Völlig pleite« sei er, krähte grämelnd der Besucher, kratzte sich am mullverbundenen Handgelenk und stank nun plötzlich eher nach Urin und moderigen Socken. »Totale Ebbe im Tresor!«, darunter leide er ja »momentan schon länger« – und der »größte Mist« sei, dass ihn sein Chef erst auszahle, wenn der LKW entladen und »die Ware« abgeliefert sei. Eben dazu aber brauche er »die vierundvierzig Euro oder strenggenommen sechzig!« Zwar sei er durchaus im Besitz von »Bargeld und auch Kundenkarte«, aber alles liege samt Führerschein, Personalausweis und Portemonnaie im Handschuhfach des LKW und sei »jetzt natürlich eingeschlossen«.
    »Ich krieg die Tür doch nicht mehr auf!«, umriss der Petiteur eine weitere Konsequenz des Bremsenschadens, riss die Kiefer auseinander, grub den Zeigefingernagel schnalzend in ein Backenzahnloch und verfiel in ein stumm flehentliches Warten.
    Da, erstmals, kam Bewegung in den guten Menschen. Bis hierher war es ihm ein wenig schnell gegangen, und oft hatte er gefürchtet, den Anschluss zu verlieren. Nun aber schüttelte er mitfühlend seinen Kopf und gab dem Mann einhundert Euro. Denn kleiner hatte er’s ja leider Gottes nicht. In der Folge wurde er gewahr, wie der Besucher sich anfänglich gelähmt, dann ungläubig staunend, schließlich außerordentlich erkenntlich zeigte und ziemlich schelmisch, beinahe triumphierend grinsend, Speichel tropfte ihm dabei herab – doch kaum hatte seine Mimik sich geordnet, verprach er fest, die Schuld schon »morgen oder ganz bald« zu begleichen: Er sei, weil er »für einen … ähm … öhm … Großbetrieb hier im Haus« fahre, ja sowieso des öfteren an Ort und Stelle. »Also danke!«, rief der kleine Mann, klopfte dem guten Menschen dreimal kräftig auf den Unterarm und pfefferte die Zigarette auf den Boden. »Echt super!« Dann tanzte er den Flur entlang zum Treppenhaus.
    Mit großer innerer Erleichterung registrierte da der gute Mensch, dass das unerwartete Geschehen nun wohl an ein Ende gelangt war, tat einen tiefen Atemzug, machte kehrt und trat ins Büro zurück. Allein, als er die schwere Eisentür von innen schließen wollte, klopfte es erneut. »Entschuldigung«, krächzte der Besucher, »den hier hatte ich vergessen. Dein Tabak. Hasse was zu schreiben?« Still besorgte der Gefragte Kuli und Papier und reichte es dem Mann. Kurz darauf erhielt er einen Zettel. »Hier, so heiß ich. Steht alles da drauf. Tschaui!«
    »Na ja, schon gut«, flüsterte sein Gegenüber, steckte den Zettel in die Innentasche seiner Jacke, verfolgte danach aufmerksam, wie der Schuldner endgültig ins Treppenhaus verschwand, nickte einverstanden mit dem Kopf und lächelte.
    Friseur Gall, Tanzschule Luley: Mit der Aufzählung beider im Haus ansässigen Großbetriebe verbrachte unsere Hauptperson, die auch für ihren messerscharfen Geist bekannt war, den großen Rest des Arbeitstages; und mit versonnenen Erwägungen, welche Dinge und Artikel denn von Tanzschulen und Friseursalons gleich lasterweise an- und ausgeliefert werden mochten? Neue Schrittfolgen? Alte Haare? Tanztee? Er kam und kam nicht drauf. Nach einer Weile erinnerte er indes das Zettelchen. Nicht wenig aufgeregt griff er in seine Jackentasche, holte es hervor und las:

    Na sieh mal an, dachte der gute Mensch, jetzt hab ich also eine Quittung. Zum Abend überlegte er dann auch, dank welcher Verwicklungen defekte Bremsen dazu führen, dass ein Handschuhfach bzw. LKW sich nicht mehr öffnen lässt – »aber hundert Euro«, freute er sich still, »reichen immerhin für einen ersten Bremsölvorrat.«
    Doch plötzlich hielt er inne. Und kaum zehn Sekunden später sah man ihn bewegungslos vor einer größeren Bürowand stehen; dort hing, mit einem Dutzend bunter Nadeln festgepinnt, der örtliche Stadtplan …
    Zwei Tage waren vergangen, da klopfte Ronny Meier wieder an der Redaktionstür, und wieder schien er unserer Hauptperson mehr fahrig als gelassen. Noch immer trug er den zerissenen Jeansanzug. Doch hatte er erkennbar einen Strumpf eingebüßt: Der rechte Fuß stak nackt in einer modischen, wenn auch kaum wintertauglichen Sandale. Genau besehen war’s ein grüner Plastikbadelatschen, und Ronnys Hände zitterten und wippten wie unter Stromeinfluss. Auf seinem Kopf saß jetzt ein grauer Federhut, und aus der Brusttasche der zisseligen Jacke lugte eine Spiegelsonnenbrille. Es roch nach schimmeligem

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