Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I
entfernt von der von einer lokal gehobenen Vorjury ausgesuchten und also zu uns durchgelassenen lyrisch-künstlerischen Crème dieses vor trostloser Dummheit und Kunstferne regelrecht platzenden Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern, und bis heute frage ich mich, ob diese mit kaum dreißig Bewerbern konfrontierte Vorjury bloß an einer seltenen Extremform von Wahnsinn litt oder im planerischen Vorhinein dieser skandalösen Veranstaltung denn doch ein wenig Witz bewiesen haben mochte, indem sie uns, der Hauptjury, mit voller Absicht die sechs Unbegabtesten, ja Unwilligsten und also seelisch Abstoßendsten dieses auch sittlich unfasslich versumpften Küstenstreifens zugeschustert hatte im Wissen oder zumindest in der Vermutung, dass die ungleich großzügiger honorierte und also verhasste Hauptjury vorwiegend aus dem eh stark beneideten Westdeutschland kommen dürfte und übrigens auch tatsächlich kam. Aber natürlich konnte diese Vorjury, diese regionale Spitze eines allumfassenden Eisberges an Idiotie und Gemeinheit, nicht wissen, was sich auch mir erst im Abendverlauf offenbarte, dass nämlich genau genommen auch sämtliche Hauptjuroren von moderner Lyrik nicht die geringste Kenntnis und, so mein Nebensitzer mehrmals wörtlich, »Kenne« hatten; diese ganze Lyrik- und Lirum-Larum-Löffelstiel-Pest sei nämlich im Wesentlichen überflüssigster Quatsch und vollkommener Superscheißdreck, so wiederum wortwörtlich der unsere sogenannte Jury anführende und tyrannisierende Franz-Xaver Kampfnagel, seines Zeichens Stuttgarter Assistenzprofessor für Straßentiefbau und vergleichendes Ingenieurwesen. Im Wortlaut dann praktisch identisch äußerten die drei übrigen Juroren, namentlich der bayerische Dartlandesmeister Almhuber Freddy, Katharina Friese von der Bremerhavener DKP sowie der schon vor Lesungs- und also auch Torturbeginn fast tödlich angetrunkene und katastrophal stinkende Dortmunder Rentner Hans Magnus von Wilhelmi, ein ehemalig überzeugter und aber, wie er mir mehrmals versicherte, längst konvertierter Aufseher im Konzentrationslager Buchenwald –
»SCHWARZ
Herr Schwarz
Arbeitet schwarz
Er wirft Schatten
Schattenschwarz
Mit Lehm
An die Wand
Harter Lehm (alt)
Lehm weich
Erst dunkel
Später hell
Der Lehm
Herr Schwarz
Alter Lehm
Jetzt neuer Lehm
Später hell
Früher hell
Jetzt dunkel
Glättet den Lehm
Glättet seinen Schatten
Ein Stück Wand«
–, welcher just erwähnte ehemalige KZ -Aufseher und Schwerstalkoholiker von Wilhelmi dann aber sogar, mitten im Vortrag des letzten und zweifellos erschütterndsten und geistesstumpfesten Kandidaten, die vor ihm liegenden Manuskriptkopien mit einer hastigen Bewegung zusammenrollte, von seinem Stuhl aufsprang und dem Vortragenden mit praktisch dessen eigenen und fürwahr widerwärtigsten Lyrik-Schandtaten eins runterhaute, was, so der bayerische Landesdartmeister Almhuber, ohne Zweifel höchste Zeit gewesen sei, da er, Almhuber, selbigen Dichter sonst »ungespitzt in den Boden gewemst hätte«, so der Sportler aufgewühlt. Ob aber, so daraufhin fragend der Professor Kampfnagel, eine entsetzliche Tat, die eine bei weitem entsetzlichere verhindere, nicht eine lobenswertere und sogar im Sinne der Bibel gerechtere Tat darstelle als beispielsweise das Verfassen solcherart moderner Lyrik, interessiere ihn, Kampfnagel, nun kaum mehr, insofern nämlich er, so der nun ebenfalls stocktrunkene Akademiker, seit zwanzig Minuten extrem pissen müsse, und wenn »der Arsch da vorne nicht augenblicklich seine Sachen packt«, so Kampfnagel dann plötzlich sehr laut und gewiss im gesamten Saal vernehmlich, »dann seh ich superschwarz!«, so der immer unerträglicher werdende Juryvorsitzende weiter. Urinieren ging indes die in diesem Moment überhaupt erstmalig auffällige Bremerhavener Kommunistin Katharina Friese und kam dann einfach gar nicht wieder; das letzte und vermutlich schurkigste Gedicht des Abends entging ihr damit ebenso wie der diese verkommene Gesamtveranstaltung gewissermaßen krönende und endgültig ins Reich des Abscheulichen verbannende Bordellbesuch der Hauptjury; welcher aber vom Rostocker Amt für Kultur und Denkmalpflege nicht nur vollständig übernommen werde, sondern praktisch schon bezahlt sei, so stolz dröhnend und offenbar wahrheitsgemäß der pünktlich dazustoßende Vertreter der Sparkasse Rostock, des Hauptsponsors dieses ungeheuerlichen Abends.
»An der Mauer
So wird’s gemacht
Übergibt mir
Die Kelle
Die Keller mir
In die
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