Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I
verankerte den Klüverbaum und zog das Ruder kräftig Richtung Oberrah. Dann steuerte er riskant auf 15 Grad Südnord, bügelte das Bramsegel und pfefferte den Hilfskoch in die Gischt – Verdacht auf Meuterung!
Bei fünfundvierzig Knoten erreichten wir am Abend unseren Zielort Queensland Harbour, fuhren mit dem Bus nach Sidney und kriegten unsere Welcome-Spritzen gegen rote Ohren. Es war auch höchste Zeit, denn beinahe hätten wir uns alle »Winnitou« genannt, »hallo, Winnitou« – es ist ja so, dass auf der Südhalbkugel gehangen statt gestanden wird, der Körper baumelt in die Atmosphäre, alles Blut fließt den Touristen aus den Quanten in die »Äppel«, und dort staut es sich. Helfen tut zwar Kopfstand, aber können Sie oft Kopfstand? Keiner kann oft Kopfstand. Außer den Australiern, die machen quasi von Natur aus Kopfstand.
Zum Beispiel mein Freund Bill. Ich hatte ihn vor Jahren mal im Kongo kennengelernt, Stichwort Fremdenlegion, obwohl er dort kaum aufgefallen war: schwarze Haut, schwarzgraue Wollehaare, dicke Lippen und zwei Büsche auf den Augen. Erst später hörte ich, er sei ein Aborigine. Längst war er wieder nach Australien zurückgekehrt, in die Heimat seiner Väter und Vorväter, fünf Meilen westlich vom Torrens-See, am Fuße des Ayers Rock. Zur Geburt seines sechsten Kängurus hatte Bill mich eingeladen, also stieg ich in Sidney in den Überlandbus, und am nächsten Abend stand ich vor dem wackeligen Bretterzaun: »Carpentaria Reservation, New South Wales. Beware of boomerangs.«
Natürlich war es schon zu spät gewesen. Sirrend kam ein Flugholz angeschnurrt, und die Gefahr wuchs wirklich ins Bedrohliche! Ich konnte mich aber rechtzeitig ducken. Im nächsten Augenblick beschrieb die Waffe eine Kurve, nahm ein Schlückchen Zielwasser und sauste geradewegs in meinen Seesack. Okay, das war ganz einfach Bills Art, weitgereiste Freunde zu begrüßen, und verdammt, ich mochte sie.
Dann tauchte er auf dem Kamm des Ayers Rock auf: wie üblich in der einen Hand den Schnaps, in der anderen den Wasserfarbenkasten für die Höhlenkleckserei. Bill war gewählter Reservatsmaler, zuständig für naive Urzeitfresken aller Art, und er machte seine Sache gut. Kaum hatte er mal wieder eine Fledermaus gestrichelt, lancierte er die Nachricht Richtung Reservatsverwaltung, und schon brachen Hunderte sensibler Aborigine-Experten in die Höhlen ein und datierten flink auf 30.000 v. Chr., miserabel und archaisch wie Bill zeichnete. Das brachte Touristen, bewog die australische Regierung zur Lieferung blitzblanker neuer Blechbaracken und faszinierte die Gesellschaft für bedrohte Völker.
Zehn Schritte war Bill noch entfernt, aber seine Alkoholfahne hatte mich bereits umschlungen. Mir wurde schlecht.
Da fiel Bill um. Er war halt schon ein Säufer erster Güte. Ohnmächtig prustete und schnarchte er in die von Abenddämmerung erfüllte, unter einem blau-orangenen Himmel liegende Steppe, und mir blieb nichts übrig, als ihn an den Füßen in sein nahe gelegenes Wellblechheim zu zerren. Auf halbem Weg erwachte Bill, hob leicht den Kopf, drehte seinen Oberkörper auf den Bauch und betrachtete die hinter uns liegende Schleifspur.
»Hihi«, grunzte er, »astreiner neuer Traumpfad!« Dann schlief er wieder ein.
Am Eingang der Baracke erwartete uns ein zweiter Aborigine. Das musste Bills Frau Maggie sein. »Sie sieht genauso aus wie ich«, hatte Bill mich schon im Kongo vorgewarnt, »nur halt ein bisschen kleiner.« Umsprungen wurde sie von fünf Kängurus, das Neugeborene trug sie auf dem Arm. Schön sah das aus. Langsam spazierte der Mond über den nun blauschwarzen Himmel und warf romantisches Licht auf die Familie. Zwei Emus trippelten verliebt vorüber.
Maggie nahm mir Bill ab und geleitete uns in die Schlafecke. »Schon Viertel nach elf«, gähnte sie, klopfte ihr Strohlager auf und legte sich.
»Jetzt ist aber wirklich Traumzeit. Gute Nacht.«
»Nacht«, murmelte ich und deckte mich zu.
Irgendwo bellte ein Dingo.
Labend kühle Morgenluft lag über der von Dornbüschen betupften Sandsteinebene des Reservats. Bill schien wieder gesund, Maggie machte Kaffee und schickte die fünf großen Kängurus zum Shopping in den Lidl-Markt. Dem größten steckte sie einen Einkaufszettel in den Beutel: »Babybrei, drei Mohnbrötchen, sechs Eier, zwei Vollmilchtüten und elf Flaschen Schnaps. Bitte anschreiben.«
Die fünf hoppelten los. Maggie, Bill und ich setzten uns vor der Baracke auf den Boden und erzählten uns
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