Blau wie Schokolade
verhaftet worden war, und dass du deshalb … dass du deshalb …«
»Dass ich deshalb was?« Völlig frustriert streckte er die Arme aus. »Dass ich deshalb was?«
»Dass du deshalb so sauer warst. Du hast mich nachts nicht mehr angerufen, du hast mir keine Witze mehr erzählt, du hast dich nicht mehr nach meinem Haus oder nach meinen Lieblingsfilmen erkundigt oder welches Buch ich gerade lese … du warst höflich, aber mehr auch nicht.«
»Ich war stinksauer«, sagte er mit lauter Stimme. »Ich war stinksauer, ich war verletzt und hatte das Gefühl, als hättest du mir in den Magen getreten. Ich dachte, wir beide – du und ich – würden das mit uns bis nach der Wahl auf Eis legen.«
»Dachte ich auch. Am Tag nach der Wahl hätte ich meine Stöckelschuhe ausgezogen, bei dir gekündigt, und dann wären wir zusammen an den Pazifik gefahren. Hätten uns Wale angesehen, wären durch den Sand gelaufen, hätten Muscheln gesucht. Wie ganz normale Menschen.«
»Genau. Ich hätte dir die Küste von Oregon gezeigt. Und hoffentlich auch die Küste von Kalifornien, von Mexiko, von Kanada und Alaska. Aber an diesem Morgen dachte ich, du wärst die ganze Nacht bei einem anderen Mann gewesen. Und das bedeutete für mich, dass die Sache mit uns beiden gestorben war. Ich wusste, dass es eine Zumutung war, eine Frau zu bitten, so lange zu warten, Jeanne. Ich wusste, dass es hart für uns beide werden würde, aber ich konnte nicht – kann nicht mit jemandem gehen, der für mich arbeitet.«
Ein Käuzchen schrie. Ein anderes antwortete. Wie konnte das alles nur passiert sein? »Ich war nicht bei einem anderen Mann, Jay. Na, gut, war ich schon. Es waren sogar zwei Männer dabei.« Ich summte. »Ich war mit Freunden unterwegs. Einem Freund namens Soman, einer Frau namens Becky. Außerdem waren Bradon und Emmaline dabei. Soman ist in Becky verliebt. Bradon ist schon seit ewigen Zeiten verheiratet und hat fünf Kinder. Emmaline ist unsere Therapeutin bei der Aggressionsbewältigung. Ich glaube nicht, dass sie einen Freund oder Mann hat, aber ich bin nicht in sie verliebt, also keine Sorge.«
Ein kleiner Windstoß ließ die Kerzen flackern, und ich konnte sehen, dass meine Erklärung Jay völlig aus der Bahn warf. Er schaute hoch in den Himmel, dann mir in die Augen, und ich sah alles, was ich sehen musste.
»Wie bist du auf die Idee gekommen, ich würde mich mit einem anderen treffen?«
»Na, weil du das an dem Morgen erzählt hast! Und wegen deiner Kleidung. Du hattest dieselben Sachen an wie am Tag davor. Mit ein paar kleinen Änderungen. Charlie hatte vorher gesagt, du hättest an dem Abend einen Termin. Ich bin einfach davon ausgegangen, dass du verabredet warst.« Er ließ die Schultern hängen, »Jeanne, ich war mal mit einer Frau zusammen, die das getan hat. Sie hat mich monatelang betrogen, ohne dass ich es merkte. Oft schaffte sie es vor der Arbeit nicht nach Hause. Ich traf sie im Büro, und sie hatte ihre Jacke abgelegt, ein anderes Tuch um oder hatte anderen Schmuck angelegt. So hat sie ihren Freund vor mir verheimlicht. Da habe ich bei dir einfach dasselbe vermutet. O Gott, Jeanne, es tut mir so leid –«
»Seit ich am Fluss mit dir zusammengestoßen bin, bist du der einzige Mann in meinem Leben, Jay.« Ich machte einen Schritt auf ihn zu, war ihm so nah, dass ich den Wein, sein Rasierwasser und die Tannen riechen konnte. Ich legte meine Hände auf seine Arme. »In der Kneipe habe ich mich auf einen Mann gestürzt, der Soman verprügeln wollte. Soman war als Frau verkleidet, weil er sein wahres Ich kennenlernen, es annehmen sollte, damit er seine Aggressionen loswird. Die ganze Sache geriet außer Kontrolle. Andere mischten sich in die Schlägerei ein, auch Emmaline, Bradon und Becky. Als die Polizei kam, wurden mir Handschellen angelegt, dann kam ich in einen Transportwagen und wurde zum Polizeirevier gekarrt, später auf Kaution freigelassen. Am Morgen verschwand ich in einem Café, machte mich frisch und fuhr ins Büro. Es tat mir so leid. Es tut mir immer noch leid.«
»Ich fasse es nicht«, sagte Jay und fuhr sich mit der Hand über den Hals. »Ich fasse es nicht, dass wir alles Mögliche verpasst haben, nur wegen meiner dummen, dämlichen Vermutung. Seit Monaten glaube ich, dass du mit jemand anderem zusammen bist –«
»Es gibt niemanden. Bei dir etwa?«
»Ich habe jemanden kennengelernt, mit dem ich gerne ausgehen würde, aber im Moment ist diese Dame nicht verfügbar.«
»Aha.« Durfte ich
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