Blau wie Schokolade
Rosvita, und ihre silbernen Armreifen klimperten am Handgelenk.
»Schön, dass du wieder da bist, Jeanne«, sagte Becky. »Du hast uns gefehlt.«
Rosvita und Becky hatten auf meiner rückwärtigen Veranda einen Tisch mit rosa Tellern, Kristallgläsern in Rosenform, fünf kleinen Blumensträußen und unzähligen rosa Kerzen gedeckt.
Die beiden Damen hatten sich selbst übertroffen. Wir zogen Jacken an, setzten Hüte auf und genossen Eier Benedict, scharfe Bratkartoffeln, frisch gepressten Orangensaft, Schokoladenmuffins, Bananenbrot und Möhrensuppe (das Rezept hatte Rosvita schon seit Monaten ausprobieren wollen).
Zum Anstoßen hielten wir die Kristallgläser hoch.
»Auf unsere Freundin Jeanne«, sagte Becky. »Sie stieg auf in die Luft, flog los und ließ sich nicht von den Geiern herunterholen.«
»Auf den Sieg«, sagte Rosvita mit Tränen in den Augen. »Auf den Sieg über diesen schäbigen Ganoven.«
»Prost!« Wir stießen an.
Ich berührte den Sekt mit den Lippen, doch dann verlor ich die Fassung. Die Tränen, die ich so lange zurückgehalten hatte, schossen mir aus den Augen und rannen mir die Wangen hinunter, als sei ein Damm gebrochen. Ich fing sie mit dem Sektglas auf.
Rosvita murmelte, hoffentlich hätte ich nicht schon wieder einen Nervenzusammenbruch, denn einige der Symptome zeige ich bereits. Sie musste ebenfalls weinen, nur wegen mir. Becky stand auf, nahm mich in den Arm und putzte sich direkt neben meinem Ohr die Nase.
»Hat es …«, begann Becky, »… hat es vielleicht etwas mit dem Gouverneur zu tun?« Als sie meinen leidenden Gesichtsausdruck sah, drückte sie das Gesicht in meine Locken.
»Der wird schon kommen, Jeanne, keine Sorge. Mach dir keine Sorgen!«
Doch das tat ich. Ich machte mir Sorgen.
Nachdem Becky und Rosvita gegangen waren, räumte ich meine Veranda auf und machte es mir mit einer Tasse Limonentee in der einen Hand und dem schnurlosen Telefon in der anderen auf einem Liegestuhl bequem. Eine leichte Brise strich durch die Baumwipfel. Es war schön, zu Hause zu sein. Im Moment hatte ich nur ein Problem: In meinem Körper hatte sich eine große sexuelle Spannung aufgebaut, und tief im Herzen hatte ich riesige Angst, Jay nicht wiederzusehen.
Ich hinterließ eine Nachricht auf seinem Anrufbeantworter: »Hallo, Governor, hier spricht Ihre ehemalige Kommunikationschefin. Ich rufe an, um Ihre Meinung über ein Memo zu erfahren. Ich wüsste gerne, ob die Formulierung in Ordnung ist. Das Memo lautet: ›Wichtige Mitteilung: Der Gouverneur des Staates Oregon, Jay Kendall, wird gebeten, so schnell wie möglich zum Haus von Jeanne Stewart zu kommen. Bitte kommen Sie zum Abendessen‹.« Danach gingen die Nerven mit mir durch. Ich sackte zu einem zitternden, bebenden Häufchen Elend zusammen.
Und ich hoffte.
Oh, wie ich hoffte!
Als die Sonne sich am späten Nachmittag wieder der Erde entgegenneigte, ging ich joggen. Ich dachte an die endlosen Stunden, die wir in den Wahlkampf gesteckt hatten. Ich dachte an meine Rede vor den Werbefuzzis, in der ich gesagt hatte, sie seien überflüssig. Ich dachte, dass Johnny und Ally Johnna für immer in meinem Herzen sein würden, aber dass die Trauer nicht länger mein Leben beherrschen sollte. Ich dachte an meine Mutter, ans Antiquitätenkaufen mit ihr, ans Kaffeetrinken, an ihre flippige Kleidung und ihr tiefes, rasselndes Lachen. Ich dachte an den Prozess und den Schlappschwanz. Ich dachte über mein neues Haus und meine berufliche Zukunft nach.
Und als ich an die Stelle kam, wo ich Jay kennengelernt hatte, blieb ich still stehen. Ich dachte an unseren Zusammenstoß, wie wir uns auf dem Boden gewälzt hatten, an meine Angst, an das Gespräch über meine Probleme, an sein Interesse und daran, wie wir uns hier vor kurzem geliebt hatten, genau an diesem Fleck. Dass sich unsere Lippen nicht voneinander gelöst hatten. Ich dachte daran, wie er mich festhielt, wenn ich schlief, wie er sich anfühlte, wenn ich ihn umarmte, wie sehr ich ihm vertraute, ihn liebte, dass ich mit ihm durchs Leben tanzen wollte, bis wir beide so alt waren, dass wir im Bett nur noch Händchen halten und Tierfilme im Fernsehen schauen konnten.
Ich lief immer weiter. Der Fluss rauschte vor sich hin. Doch diesmal fiel keine Träne ins Wasser. Nicht eine einzige.
Nach einer Stunde schleppte ich mich auf meine Veranda und streckte die schmerzenden Beine. Laufen ist gut für die Seele, sagt man. Ich wollte sofort ins Haus stürzen und nachsehen, ob Jay eine
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