Blau wie Schokolade
Mund war trocken, mein Herz pochte.
Er hob seinen Körper ein wenig an, den Bruchteil einer Sekunde lang, und schaute nach unten.
Ich zitterte. Wenn er es noch nicht gewusst hatte, so war ihm jetzt klar, dass ich bis zum Hals barfuß war. Schnell bedeckte er mich wieder mit seinem schweren Körper.
Ich konnte seine Augen kaum sehen, aber ich wusste, dass sie in meine blickten. Seine Mundwinkel zuckten leicht.
»Sie sind nackt«, sagte er. Er versuchte, das Lachen in seiner Stimme zu unterdrücken.
Meine Brust hob und senkte sich, ich bekam kaum Luft, wollte ihm aber meine Angst nicht zeigen. »Wie scharfsinnig!« Ich versuchte, sarkastisch zu klingen. »Unglaublich aufmerksam von Ihnen.«
»Warum sind Sie nackt?«, fragte er in einem Tonfall, in dem er sich nach der Uhrzeit hätte erkundigen können.
Ich war ein bisschen zu angespannt, um zu lügen. »Ich bin nackt, weil ich meiner Aggressionsbewältigungstherapeutin und den anderen Leuten in meinem Kurs gesagt habe, dass ich nackt am Fluss entlanglaufen würde.«
Der Mond schien so hell, dass ich sehen konnte, wie der Mann mehrmals blinzelte.
»Ihre Aggressionsbewältigungstherapeutin?«
»Ja.« Meine Beine begannen zu beben. Bei Panik passiert mir das öfter.
Zwischen uns herrschte Schweigen. Ich hörte die Eulen rufen.
»Warum haben Sie eine Aggressionsbewältigungstherapeutin?« Na, super! Jetzt war der Vergewaltiger auch noch neugierig!
»Mal überlegen. Vielleicht weil ich aggressiv bin?« Ich versuchte, mich ihm zu entwinden, aber es war sinnlos. Ich hatte das Gefühl, als würde mich ein Traktor in den Boden drücken.
»Sie zerquetschen mich«, sagte ich.
Er stützte sich auf die Ellenbogen.
»Besser?«, fragte er.
Super, ein höflicher Meuchelmörder!
»Ja, danke.«
Ja, danke?
Meine Zähne bibberten vor Angst. Ich biss sie aufeinander.
Etwas Warmes tropfte mir ins Gesicht. Der Mann hob die Hand und wischte es ab.
»Entschuldigung. Das ist wohl mein Blut.«
Blut … Bei dem Gedanken wurde mir schummrig. Würde ich verbluten, wenn er mit mir fertig wäre? Mein Herz beschleunigte auf hundertneunzig Schläge pro Minute.
»Sie haben einen festen Schlag«, sagte der Mann.
»Danke schön.«
Danke schön?
»Noch mal zu meiner Frage.«
»Lassen Sie mich los, dann beantworte ich Ihre Frage.« Ich bekam kaum noch Luft.
»Ich habe gefragt, warum Sie nackt joggen gehen, und Sie sagten, Sie täten das für den Aggressionsbewältigungskurs, und Sie wären in Behandlung, weil Sie aggressiv seien. Was hat das nackte Joggen mit alldem zu tun?«
Ich holte zitternd Luft.
Dieses Gespräch fand doch nicht wirklich statt, oder?
»Wir sollten etwas Gewagtes, etwas Neues tun, das uns von unserem sonst üblichen Weg des Zorns abbringt.«
»Wollten alle nackt joggen gehen?«
Ich spürte, dass die Brust des Fremden leicht bebte.
Ich brauchte eine Sekunde, bis ich es verstand: Mein Vergewaltiger lachte. Er versuchte, es zu verbergen, doch das gelang ihm nicht besonders gut. Ein lachender Mörder. Ich roch sein Aftershave.
Alles, was in dem Kurs stattfand, sollte vertraulich bleiben, aber ich hatte das Gefühl, dass Bradon, Soman, Emmaline und Becky Verständnis für meine missliche Lage haben würden. »Nein. Bradon will mit seiner Frau Rosen pflanzen, um seine Ehe zu retten. Soman will sich als Frau verkleiden und in der Stadt einkaufen gehen, um einen Bezug zu der Frau in sich herzustellen, und Becky wird in einer Kneipe singen, weil sie ihr bisheriges Leben zerstört hat.«
Wieder blinzelte der Fremde. »Also keine weiteren Nackt-Jogger. Nur Sie.«
»Ja, genau. Nur ich.«
Sofort erkannte ich meinen Fehler. Ich hätte sagen sollen, sie kämen alle hinter mir her. »Mein Mann kommt nach. Er wird jeden Moment hier sein.«
Ich spürte, dass er an meiner linken Hand nestelte.
»Sie tragen keinen Ring.«
»Ring?«
»Ja, keinen Ehering. Ich glaube nicht, dass Sie verheiratet sind. Außerdem, welcher Mann lässt seine Frau nachts nackt allein am Fluss entlanglaufen?«
Jetzt wurde ich sauer. »Welcher Mann
lässt
seine Frau? Sie Chauvinistenschwein! Ich kann verdammt nochmal tun, was ich will, aber mein Mann wird Ihnen in den Arsch treten, wenn er gleich hier ist.«
Wieder zuckten seine Mundwinkel. »Guter Versuch.«
Ich wurde fuchsteufelswild. »Was!? Glauben Sie vielleicht, mich will keiner heiraten? Dass ich keine Frau zum Heiraten bin? Zu herrisch? Zu starrsinnig? Zu aggressiv? Genau das denken Sie, nicht?« Ich war den Tränen nahe. Machte mir
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