Blau wie Schokolade
immer noch vor Angst fast in die nicht vorhandene Hose, war aber trotzdem den Tränen nahe. Ich hasste Männer, absolut. Die wollten doch alle nur eine dämliche, hirnlose Tussi mit dicken Titten, die ihr gieriges, zerbrechliches Ego hätschelte. Kotztypen!
Lange Zeit schwieg mein Angreifer, und ich bekam mich wieder in den Griff. »Ich habe weder gesagt noch gedacht, dass Sie keine Frau zum Heiraten seien. Sie tragen keinen Ring, und Sie können nicht besonders gut lügen.«
Ich musste schlucken. Die Eulen riefen durch den ganzen Wald, ihre Schreie hallten mal von diesem, mal von jenem Baum wider.
»Warum mussten Sie zur Aggressionsbewältigungstherapie?«
»Warum? Weil ich aggressiv bin! Glauben Sie etwa, ich gehe da hin, weil ich so ein gelassener Mensch bin?« Männer sind so was von dumm.
»Weshalb sind Sie aggressiv?«
»Jetzt im Moment, weil Sie mich zerdrücken und ich kaum noch Luft bekomme. Würden Sie von mir runtergehen?«
Er verlagerte sein Gewicht, so dass er nicht mehr so schwer auf mir lag, aber nicht genug, als dass ich einen auf Houdini hätte machen und mich befreien können. »Sagen Sie mir, warum Sie so aggressiv sind!«
Ich schloss die Augen. Tu ihm den Gefallen, sagte ich mir. Wenn er nicht mehr auf der Hut ist, stoß ihm das Knie in die Eier und hau ab.
»Nein.« Ich biss mir auf die Zunge. Warum musste ich mit meinem Vergewaltiger auch noch streiten? Die Polizei riet einem bestimmt von so was ab. Meine Brüste waren immer noch leicht geplättet von ihm, aber mein Körper hatte sich unter seinem schweren Gewicht wunderbarerweise erwärmt, obwohl meine Beine noch zitterten und bebten.
»Bitte!«
Ich sah ihm in die Augen, dann auf seinen Mund. Er lachte. Der Mann hatte strahlend weiße Zähne, bemerkte ich.
»Warum sollte ich?«
»Weil ich es gerne wissen würde.«
»Sie wollen, dass ich einem Mann, der mich zu Boden geworfen hat und mich jetzt nicht wieder loslassen will, erzähle, warum ich aggressiv bin?«
Männer!
»Erstens habe ich Sie nicht zu Boden geworfen. Mein Haus ist direkt da oben auf der Anhöhe. Ich stand am Fluss, als ich jemanden laufen hörte. Als Nächstes kommen Sie auf mich zugestürzt, und ich liege unter einer Frau auf dem Boden. Was mich zum zweiten Punkt bringt: Ich halte Sie lediglich gegen Ihren Willen eine kurze Weile fest, bis ich sichergehen kann, dass Sie mich nicht wieder angreifen. Stellen Sie mich auf die Probe: Sagen Sie mir, warum Sie aggressiv sind.«
Ach, was sollte es! »Na gut, Sie Ekel, dann erzähle ich es Ihnen halt.« Ich schaute dem Fremden in die Augen. »Ich bin aggressiv, weil der Krebs in mein Leben kam und mir meine Mutter nahm, Schritt für Schritt. Ich bin aggressiv, weil der Schlappschwanz mich betrogen hat und mein Mountainbike mitgenommen hat, was ich sehr gerne mochte. Ich bin aggressiv, weil ich keinen Mann und keine fünf Kinder und kein Haus auf dem Land mit jeder Menge Katzen und Hühnern habe, weil ein betrunkener Autofahrer der Ansicht war, das sei nichts für mich. Ich bin aggressiv, weil ich überflüssig bin, weil meine Arbeit überflüssig war und weil ich keinen Plan habe, wie ich nicht ganz so überflüssig sein kann, dabei bin ich jetzt siebenunddreißig und habe nicht annähernd etwas Gutes mit meinem Leben angefangen. Ganz im Gegenteil: Ich habe so gut wie jede Minute meines Lebens gearbeitet, und das hat mich zu einem Nicht-Menschen gemacht. Ich bin aggressiv, weil ich in den letzten zwölf Jahren halbtot war, weil ich lebensmüde bin und denke, es wäre eine gute Idee, wenn ich mit meinem alten Bronco in den Pazifik fahren würde. Ich habe den Pazifik noch nicht mal gesehen. Aber das schaffe ich in nächster Zeit auch nicht, weil ich mich zum Pokerspielen und zu einer Gartenbesichtigung verabredet habe, obwohl ich überhaupt nichts fürs Gärtnern übrighabe. Ich bin aggressiv, weil ich meine Aggressivität nicht loswerde. So. Jetzt wissen Sie alles über meine Aggressivität. Werden Sie jetzt Ihren riesigen Körper von meinem nehmen, damit ich wieder atmen kann?«
Lange Zeit rührte der Fremde sich nicht, seine Augen blickten tief in meine. Seine Lippen zuckten nicht, er gab keine unterdrückten Geräusche von sich.
»Hört sich an, als hätten Sie allen Grund, aggressiv zu sein.«
Diese Antwort hatte ich von einem Mann nicht erwartet. Schon gar nicht von meinem Vergewaltiger. Ich wollte etwas sagen, bekam aber nichts heraus.
Er holte tief Luft. »Das mit Ihrer Mutter tut mir leid. Es tut mir leid, dass
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