Blau wie Schokolade
was mir in den Sinn kam: »Ich werde mich ausziehen.«
Emmaline nickte. »Gut. Und was kommt nach deiner Nacktheit?«
»Ich werde joggen gehen«, fügte ich hinzu.
Emmaline reckte triumphierend die Fäuste.
»Ich werde nackt am Fluss entlangjoggen.«
Emmaline flatterte mit den Armen.
»Ich werde im Dunkeln nackt am Fluss entlangjoggen.«
Emmaline rief: »Wir haben einen Durchbruch!«
»Ich werde nackt joggen, damit ich eins mit der Erde, dem Wasser und den Bäumen sein kann. Ich werde meine Wut nehmen und sie in den Boden treten, bis sie keine Luft mehr bekommt. Bis sie zusammengebrochen, geschrumpft und gestorben ist. Ich werde den Mond begrüßen, die Sterne ehren und immer weiterlaufen. Nackt.«
Becky klatschte.
»Super, Mädel!«, brachte Bradon hervor.
Soman lachte so heftig, dass er schnaubte. »Nackt! Das wird cool. Hopp, hopp, hopp!«
10 . KAPITEL
Ich traute mich noch nicht, nackt zu laufen.
Ich konnte nicht behaupten, dass es ein Vorhaben war, bei dem ich mich wohlfühlte.
So etwas hatte ich noch nie getan.
Trotzdem: Ich hatte Emmaline und den anderen Teilnehmern im Aggressionsbewältigungskurs gesagt, dass ich es tun würde.
Der erste Gedanke, der einem dabei durch den Kopf ging, war ja wohl, dass es für eine nackte Frau draußen nicht gerade sicher war. Man könnte auch sagen, als nackte Frau am Fluss entlangzulaufen sei gefährlich. Und man könnte anführen, dass eine nackte Frau, die allein in der Nacht nackt am Fluss entlangläuft, wirklich Ärger haben will.
Das war alles richtig.
Und so aß ich zum Abendessen Pfannkuchen im Café mit einer Runde gesprächiger, lustiger Ortsansässiger, die mir irgendwie Ruhe vermittelten, und lauschte Donovan, der seine drei Lieblingsarien sang und seiner »heimlichen Liebe« widmete. Danach sagte ich zu, am Freitagabend zur Pensionierungsfeier von Bill Brayson und am Sonntag zu einem Bowlingturnier zu gehen.
(Ich versuchte, die Hitzewallung in meinem Körper angesichts dieser Einladungen zu ignorieren. In Chicago war ich nur selten zu irgendetwas eingeladen worden, höchstens höflich aufgefordert, noch mehr zu arbeiten, mehr Kunden aufzutreiben und mich mit kreativen Möchtegernkünstlern herumzuschlagen, die unbedingt Yoga im Flur machen wollten, ihre riesigen Köter mit zur Arbeit brachten oder summten, wenn sie nervös wurden.)
Ich teilte meinen neuen Freunden meine Pläne für den Abend nicht mit. Gegen zehn Uhr zog ich mir Jogginghose und Sweatshirt an und machte mich auf zu einem abgelegenen Platz am Fluss. Es waren keine Häuser in der Nähe, und ich konnte den Pfad noch sehen.
Das Licht des Vollmonds fiel schräg durch die Bäume. Es roch nach Kiefern, Fluss und Wald. Tief atmete ich ein.
Dann zog ich meine Sachen aus und packte sie in einen kleinen Rucksack. Meine Sportschuhe zog ich wieder an. (Das Tragen von Joggingschuhen betrachtete ich nicht als Vertragsbruch.)
Ich habe keine großen Brüste, deshalb störte es mich nicht, ohne BH herumzulaufen. Ich schaute hinauf zum sternenbesetzten Himmel und erhaschte einen Blick auf den Vollmond. Diese Nacht war wie gemacht für Werwölfe und wilde Frauen auf der wahnsinnigen Suche nach Selbsterfahrung.
Über mir schrie eine Eule, und ein Käuzchen am anderen Ufer des Flusses antwortete.
Ich rückte meinen Rucksack zurecht und begann langsam zu traben. Da ich diesen Weg schon viele Male gelaufen war, wusste ich, dass er ziemlich lang war. Ich hatte mir überlegt, wo ich umkehren wollte.
Ich würde ungefähr dreißig Minuten in die eine Richtung joggen und dann umdrehen.
Das sollte für Emmaline und den Rest der Hau-drauf-Gruppe reichen.
Meine Beine fanden ihren gewohnten Rhythmus.
Beim Laufen versuchte ich, alles außer der kühlen, samtenen Luft, den flüsternden Bäumen und dem rauschenden Fluss auszublenden. Bald kam ich ins Schwitzen.
Durch die Zweige blickte ich hoch zum Mond und dem Großen Bären. Ich wusste, dass ich schon über dreißig Minuten lang lief, drehte aber nicht um. Mein Atem kam jetzt stoßweise, mein Herzschlag war gleichmäßig, der Schweiß floss mir aus den Poren.
Ich dachte an all die lausigen Männer, mit denen ich ausgegangen war. An den Schlappschwanz und seinen dämlichen Prozess. Ich legte Zwischenspurts ein.
Dann wurde ich langsamer. Ich dachte an meine »Grundsatz«-Rede auf der Konferenz und an die vielen Jahre meines Lebens, die ich einfach für
nichts
gearbeitet hatte. Ich spurtete wieder los.
Ich dachte an Johnny und Ally, verlangsamte und
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