Blau wie Schokolade
einem schwarzen Loch saß und nicht sagen konnte, wann oder ob ich überhaupt wieder daraus hervorkriechen würde.
Der Aufwand erschien mir gewaltig, und ich wollte keinen Aufwand mehr betreiben.
Normalerweise mag ich den Abschnitt der Fahrt, wenn die Stadt fast abrupt verschwindet und die Schönheit der Natur beginnt, über mir unzählige Bäume, hoch und würdevoll. Doch plötzlich konnte ich es nicht mehr erwarten, endlich in meinem blauen Himmelbett zu liegen. Mich dort zu verstecken. Oder zu überwintern.
Das einzig Gute war, dass mein Haus wirklich rasante Fortschritte machte. Ich wollte, dass es auf jeden Fall fertig wäre, wenn ich ins Gefängnis käme. Die Familie Lopez hatte offene Regale und neue weiße Küchenschränke im Landhausstil eingebaut, dazu Griffe wie Kaffeebecher. Jetzt arbeiteten sie an der Kochinsel, die blau gestrichen werden sollte. Meine weiße Spüle war schon installiert.
Die neuen Toiletten und Waschbecken waren nicht mehr verstopft. Mit Hilfe eines Handwerkers hatten die Lopez alle Fenster ersetzt und drei Glastüren eingebaut – zwei im Wohnzimmer, eine im größten Schlafzimmer. Wenn die Jungen von der Schule kamen, hatten sie an der Treppe gearbeitet. Therese nähte Vorhänge. Momentan wählten wir für jeden Raum eine Farbe aus.
Dabei erzählte mir Therese von ihrer Jugend in Mexiko. Ihre Familie hatte in einer Hütte gelebt. Sie hatte fünf Geschwister. Ihr Vater verdiente sein Geld woanders und schickte es seiner überforderten Frau nach Hause. Es gab keine Medizin, kein laufendes Wasser, keinen Strom. Thereses Großvater besaß eine Pistole, mit der ihre Geschwister und sie schießen übten. Therese war die Beste von allen.
»Das war kein richtiges Leben in Mexiko. Für meine Kinder will ich etwas Besseres. Ich will, dass sie zur Schule gehen, dass sie lernen und anderen Menschen helfen. Ich will, dass sie sicher sind. Deshalb bin ich hergekommen. In Mexiko gibt es keine Hoffnung, Jeanne. Keine Hoffnung, keine Arbeit, keine Zukunft. Das Leben sollte mehr sein als nur die Sorge, ob man am nächsten Tag noch genug zu essen hat, nicht? Es sollte mehr sein als die Sorge, dass dein Kind krank werden könnte und du keinen Arzt findest. Das Leben sollte mehr sein, oder?«
»Natürlich, Therese. Auf jeden Fall.«
Therese hatte eine feste Meinung, welche Farbe in welchem Zimmer gut aussehen würde. Sie war eine sehr freundliche Frau und liebte ihre Familie, aber sie führte ein strenges Regiment.
Das gefiel mir.
Als ich einige Abende später nach Hause kam, war Rosvitas Haus hell erleuchtet. Sehr ungewöhnlich. Jeden Abend putzte Rosvita ihre Küche eine gute Stunde lang mit Bleichmittel, Wasser und Unmengen anderer Putzmittel. Je nach Laune las sie anschließend Liebesromane oder Sachbücher über Krankheitserreger und schaltete ihr Licht um Punkt zehn Uhr aus, damit ihr Körper in den gebleichten weißen Laken genügend Zeit zum Ausruhen und Verjüngen hatte, um alle künftigen Bazillenangriffe abzuwehren.
An jenem Abend jedoch fand ich Rosvita auf allen vieren vor. Mit einer Zahnbürste schrubbte sie die Ecken des Küchenbodens.
»Halli, hallo!«, sagte ich zögerlich. »Rosvita?«
»Hallo, Jeanne«, stieß sie keuchend hervor. »Hattest du einen guten Arbeitstag?«
Ich überlegte. Sie schrubbte sofort mit großem Körpereinsatz weiter.
Ich entdeckte verschiedene Putzmittel auf Papiertüchern. »Ist alles in Ordnung, Rosvita?«
»Ja, schon gut, Jeanne. Ich habe etwas über Bakterien gelesen, die sich in Winkeln und Ecken verkriechen, die man nicht sehen und nicht riechen kann, und trotzdem sind sie da.«
»Das freut mich zu hören.«
Sie kratzte weiter.
»Außerdem habe ich heute von drei neuen Krankheiten erfahren. Eine heißt Hirsutismus. Sie befällt fast nur Frauen und Kinder. Das auffälligste Symptom ist das übermäßige Wachstum der Körperbehaarung. Ich habe gelesen –«
»Rosvita!«
Sie hielt mitten im Satz inne. »Ja?«
»Rosvita, du kommst mir … Ist wirklich alles in Ordnung?«
»Ja, klar, natürlich. Geh ins Bett! Ich weiß, dass du morgen arbeiten musst. Ich bin froh, wenn die Wahl vorbei ist, dann kannst du endlich ein gesundes Leben führen.«
»Hast du wirklich nichts, Rosvita?«
»Es geht mir gut, sehr gut, kein Problem. Alles ist in Ordnung.«
Sie putzte. Ich beobachtete sie und überlegte, ob ich ihr helfen sollte, kam aber zu dem Schluss, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte und dringend ins Bett musste. »Na
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